Wald, Gebirg und Königstraum – über den "Mythos Bayern", um den es bei der Bayerischen Landesausstellung 2018 in Oberbayern geht, spricht Richard Loibl, Direktor des Hauses der Bayerischen Geschichte.
Was verstehen Sie unter dem "Mythos Bayern"?
Loibl: Mythos bedeutet zunächst ja nur so viel wie "Erzählung". Sie muss noch nicht einmal wahr sein, weil Mythos auch Märchen meinen kann. Andererseits wird er oft mit dem Göttlichen verknüpft und beansprucht damit besondere Autorität. Mythos ist also eine Erzählung, die famose Legitimation begründet.
Der Mythos Bayern ist geradezu ein Musterbeispiel dafür und hat selbst in Zeiten mythischer Hyperinflation besondere Bedeutung. Nehmen Sie den Freistaat. Bis 1989 hieß von den deutschen Ländern nur Bayern so. Bayern signalisierte damit eine herausgehobene Stellung, obwohl es nach der Verfassung der Bundesrepublik genauso ein Bundesstaat war wie jeder andere. Trotzdem hat sich Bayern Sonderrechte herausgenommen, zum Beispiel eine eigene Außenpolitik, bei strenger Auslegung nicht ganz leicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Für diesen Sonderstatus gibt es eine ungeschriebene Legitimation, das Bewusstsein, etwas Besonderes zu sein. Und dahinter steckt eine Gründungslegende, eine Saga, eben der Mythos Bayern. Wie er zustande kam, zeigen wir in unserer Landesausstellung.
Und aus was besteht er dann?
Das ist abhängig vom Betrachter und seinem Standort, von Innen- oder Außensicht und Zeitstellung. Der Markenkern, wenn Sie so wollen, ist der Status des Besonderen, ob gut oder schlecht. Nehmen Sie das grandiose Deckenfresko der Asams in Weltenburg: Petrus ist hier als Menschenfischer dargestellt, mit den Menschenherzen im Netz. Nicht dabei: die der Bayern, weil sie eine Sonderbehandlung erfahren und von zwei weiß-blau gekleideten Engeln in einer eigenen Muschel in den Himmel transferiert werden. Um auf eine solche Idee zu kommen, braucht es besonderen Humor und besonderes Selbstbewusstsein. Das verbindet sich mit wichtigen Elementen:
- der Gebirgslandschaft der Alpen – in der Außenwahrnehmung besteht Bayern häufig ganz und gar aus Alpen, Gebirgswäldern und –seen.
- Darin bewegen sich die Bayerinnen und Bayern in Dirndl und Lederhose und zwar immer, gebärden sich eigen in Sprache und Lebensart. Das sieht man positiv oder negativ als Ideal ursprünglicher Naturverbundenheit oder als urtümliche Rückständigkeit. In der Innensicht beansprucht man besondere Freiheit, lebt und lässt leben und fühlt sich mit der Heimat besonders verbunden.
- Schließlich zieren besondere Bauwerke das Land, Königsschlösser und Barockkirchen, und heben es, wenn man es will, in himmlische Sphären.
- Irdischer sind wirtschaftliche Potenz und hervorragende Bildung und Ausbildung, junge Elemente des Mythos, in der Verbindung mit den alten zusammengefasst im Slogan Roman Herzogs "Laptop und Lederhose". Der Name war neu, der Inhalt geht zurück auf König Maximilian II., der bereits um 1850 Fortschritt und Tradition in Einklang bringen wollte.
Was hat König Ludwig mit Ettal zu tun?
Loibl: Ludwig entdeckte das Paradies und begann es zum Idyll zu formen, zu seiner ganz eigenen Theaterwelt. Neuschwanstein ist nach den Plänen von Bühnenbildnern meisterhaft in die Landschaft komponiert. Bei der grandiosen barocken Anlage des Klosters Ettal entstand Schloss Linderhof mit Park und Grotte. Dazu wären zwei weitere Schlossanlagen gekommen: ein byzantinischer und ein chinesischer Palast, wenn der König Ludwig nicht in Geldnöten untergegangen und tragisch ums Leben gekommen wäre. Entstanden wäre ein regelrechter Schlösserpark, eine Theaterlandschaft, vielleicht ein besonderes Gesamtkunstwerk, vielleicht aber auch einfach nur eine Übertreibung.
Auf Basis der originalen Pläne zeigen wir in einem eigens erbauten Panorama, wie diese Schlosslandschaft ausgesehen hätte. Der Besucher kann sich dann selbst ein Bild machen und dabei dem König regelrecht über die Schulter schauen – in einer einmaligen noch nie dagewesenen medialen Inszenierung. Wie man zu Ludwig auch stehen mag: seine Schlösser haben den Mythos Bayern mitbegründet.
Welche Rolle spielen Wald und Gebirge in der Ausstellung?
Der Mythos entsteht in und um die bayerischen Alpenlandschaften. Sie begründen den Ruf von der unberührten Natur und der Urwüchsigkeit ihrer Bewohner. Über letzteres mag man streiten. Sicher aber ist, dass die Gebirgstäler und -seen schon lange nicht mehr unberührt, sondern vielmehr Teile einer Kulturlandschaft geworden waren. Wie das ging, zeigen wir in unserer Landesausstellung. Ein gewaltiges Exponat für die "Urzeiten" ist ein keltischer Einbaum, sage und schreibe 15 Meter lang und vor über 3000 Jahren aus einem Eichenstamm herausgearbeitet. Gefunden wurde er im Starnberger See und war noch nie öffentlich zu sehen.
Das Gebirge selbst war bis weit ins 18. Jahrhundert hinein alles andere als anziehend. Niemand ging freiwillig dort hin. Erst Wissenschaftler und Forscher mit Pioniergeist wie der Geologe Matthias Flurl nahmen der Wildnis den Schrecken. Der Landvermesser Joseph Nauss bestiegt 1820 als erster die Zugspitze. Den Naturwissenschaftlern folgten die Maler, die sich vor die Bergkulissen in die freie Natur setzten und Neues wagten: Himmel, Wolken, Berge, Seen in Natura zu malen. Über Welt- und Kunstausstellungen gingen die Gebirgslandschaften um die Welt, wurden in Graphiken und Postkarten tausendfach reproduziert. Bis heute haben wir die dadurch geschaffenen Bildwelten vor Augen, wenn wir an die Alpen denken. Besonders erfolgreich haben damit die bayerischen Brauer gearbeitet, weshalb sich der Mythos auch mit Bier verbindet.
Welche Ausstellungsobjekte haben mit Kirche, Religion, Glaube zu tun?
Kirche, Religion und Glaube spielen eine große Rolle in der Ausstellung. Am Anfang steht die sagenhafte Gründung von Kloster Ettal im wilden Wald. (Dietrich Bonhoeffer feierte hier Weihnachten, wie in diesem Artikel erklärt wird)
Mit dem Eindringen in die Wildnis und der Kultivierung des Landes verbinden sich viele Gründungslegenden bayerischer Klöster. Im Wald werden die Gnadenbilder aufgefunden oder versteckt. Die Waldtiere mit strahlenden Kreuzen weisen den Weg zum Gründungsort. Etwa die Hälfte der bayerischen Wälder gehörte vor der Säkularisation geistlichen Einrichtungen, danach dem Königreich und heute gehört immer noch ein Drittel dem Freistaat, der sie über die Bayerischen Staatsforsten pflegt und verwaltet.
Forstarbeit war immer gefährlich, deshalb besonders mit der Anrufung der göttlichen Mächte und der Bitte um Schutz verbunden. Marterl und Votivtafeln, die Schutzheiligen oder für die Flößer ein Reisealtar stehen dafür in unserer Landesausstellung. Kunstwerke, besonders auch in den Kirchen und Klöstern, zeigen wie sehr der Wald den Lebensmittelpunkt der Menschen bildete. So wurde er zum eigenen Mythos, nicht nur der Bayern, sondern der Deutschen. Schon wieder ein Mythos im Mythos!
Viele Kunstwerke haben sich dazu erhalten und werden in unserer Landesausstellung zu sehen sein. Sie zeigen, wie sich die Kirchen dem Wald annahmen und dabei mitwirkten, dass der Wald ein eigener Mythos nicht nur der Bayern, sondern der Deutschen wurde. Schon wieder ein Mythos im Mythos!
Was bietet die Ausstellung für Familien mit Kindern?
Zunächst sind es sicherlich die Vielfalt der Stimmungen und die theatralische und bühnenhafte Gestaltung der Ausstellung, die auch auf Kinder wirken. Dazu bieten wir viele Angebote zum Mitmachen. So können sich Kinder und Eltern an einer Sägestation versuchen und erleben, wie viel Kraftaufwand nötig ist, um eine Fichte oder eine Buche zu fällen. Mit einem Joystick kann man sich in einen Harvester einklinken und die moderne Holzarbeit aus der Perspektive der Führerkabine erleben.
Wer es noch rasanter mag, hat die Möglichkeit, an einem virtuellen Rennen über die Kesselbergstraße teilzunehmen. Für die etwas beschaulichere Betrachtung der Landschaft haben wir eine Malstation zusammengestellt, die die immer wiederkehrenden Motive in der Landschaftsmalerei aufnimmt. Unter dem Motto, sei dein eigener Landschaftsmaler, kann sich dort jeder künstlerisch betätigen.
Den absoluten Höhepunkt der Ausstellung bilden am Ende der Austritt aus dem Kloster in den alten, eigens für die Landesausstellung wieder hergerichteten Klosterpark mit Alpinum und Kräutergarten in der realen Alpenkulisse. Damit ist der Besucher im Kern des Mythos angelangt,und wenn er mag, kann er selber Anteil nehmen.
Richard Loibl ist Direktor des Haus der Bayerischen Geschichte in München. Was er mit Luftballons zu tun hat, erklärt dieser Artikel.
"Wald, Gebirg und Königstraum – Mythos Bayern"
Kloster Ettal wird vom 3. Mai bis 4. November 2018 der Schauplatz für die Bayerische Landesausstellung 2018 "Wald, Gebirg und Königstraum – Mythos Bayern" sein.
Das Haus der Bayerischen Geschichte, Kloster Ettal und der Landkreis Garmisch-Partenkirchen veranstalten in Zusammenarbeit mit den Bayerischen Staatsforsten, der Bayerischen Forstverwaltung und der Bayerischen Schlösserverwaltung im Südflügel des Klosters auf rund 1500 qm die Landesausstellung, die dem "Mythos Bayern" nachspürt.
Zur Ausstellung gehört ein umfassendes Rahmenprogramm - hier geht es zu den Highlights und Tipps.