Wie ich zufällig Christfluencerin geworden bin

Es gibt Dinge, in die rutscht man mehr oder weniger einfach hinein, ohne sie wirklich beabsichtigt zu haben. Online, in der Welt der sozialen Medien, passiert das vermutlich ziemlich oft. Oder glaubt wirklich jemand, dass Menschen mit mehreren Millionen Follower*innen auf TikTok ihre ersten Reaction-Videos mit einem ausgeklügelten Businessplan gestartet haben? Eher nicht.

Ich für meinen Teil dachte mir im Februar: Ich könnte ja mal ein Video zu meinem Gottesbild machen. Genau das wollte ich mir 2025 nämlich aus feministischer Perspektive vornehmen. Schon das erste Video, in dem ich von einem feministischen, christlichen Gottesbild sprach, ging viral. Ob das nun an meinen progressiven, theologisch fundierten Gedankengängen lag – oder eher daran, dass ich ein Shirt mit einer Ikonenfigur trug, das ich als "God is a woman"-Shirt betitelte – darüber lässt sich streiten.

Worüber sich allerdings nicht streiten lässt: Innerhalb weniger Wochen versammelten sich auf meinem Profil sehr viele Menschen. Nicht nur, um mir zu sagen, wie schön sie finden, was ich über mein Gottesbild erzähle, sondern auch, um mir Hassnachrichten zu schicken – um mir meinen Glauben abzusprechen, mit Bibelversen um sich zu werfen.

Hassnachrichten gegen den Glauben

Die erste Erkenntnis aus mittlerweile mehreren Monaten als Christfluencerin lautet: Die Antihaltung, die mir viele in den Kommentarspalten entgegenbringen, kommt nicht etwa von glaubensfernen Menschen. Nein – sie kommt von anderen Christ*innen.

Das macht mich stutzig. Warum fallen Christ*innen übereinander her? Ist das im Sinne unseres Glaubens? Ist es im Sinne des Glaubens, andere zu bewerten, zu verurteilen? Um diese Fragen zu beantworten, braucht es kein Theologiestudium – die Antwort ist eindeutig: nein.

Vielen in meinen Kommentarspalten scheint es nicht zu gefallen, wie ich über den Glauben spreche. Dass ich Feministin bin. Dass ich einen kurzen Pony habe – einen "Problempony", wie manche schreiben. Ich bekomme Nachrichten wie: "In Gottes Augen bist du eine Sünderin", "Zu kurzer Pony", "Du bist nur der Hässlichkeit wegen Feministin geworden" oder "Verpiss dich aus dem Christentum". Versehen mit Lachsmileys, Teufels-Emojis oder GIFs.

In den Nachrichten und Profilen der Kommentierenden erkenne ich bald ein Muster: Es sind Menschen, die sich selbst als streng gläubig bezeichnen, Bibelverse in ihrer Profilbeschreibung stehen haben oder sich in freikirchlichen, fundamentalistischen Kontexten bewegen. Für sie scheint es nur eine Art zu geben, "richtig" zu glauben – nämlich ihre.

Dem Hass nicht die Bühne überlassen

Nach ein paar ersten Tagen des Schocks gab es für mich nur eine richtige Antwort auf den Hass in meinen Kommentarspalten: weitermachen. Ich entwickle eine Trotzhaltung, denke mir: Jetzt erst recht. Man darf Menschen, die Hass verbreiten, doch nicht die Bühne überlassen!

Auf einzelne Kommentare antworte ich kaum – jedenfalls nicht, wenn sie bloß aus Pöbeleien bestehen. Tatsächlich hat das Antworten inzwischen oft meine Community für mich übernommen. Ich bin überwältigt von den vielen Follower*innen, die mich mit Engelsgeduld verteidigen. In meinen Direct Messages diskutiere ich dagegen auch mal mit Andersdenkenden – aber eben sachlich und konstruktiv.

Manchmal werde ich – auch aus meinem privaten Umfeld – gefragt, wie ich mit den Beleidigungen umgehe. Ob ich es nicht schade finde, dass ich so viel Angriffsfläche biete. Dazu habe ich unter anderem einen, zugegeben, nicht ganz uneitlen Gedanken: Eine muss es ja tun.

Und ehrlich gesagt: Die Worte treffen mich längst nicht mehr. In gewisser Weise bin ich wohl abgestumpft. Ich muss schmunzeln, wenn sich mal wieder jemand über meinen Pony echauffiert – es gibt schließlich keine schlechte PR, oder so.

Kommentare

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Apostel45 am So, 22.06.2025 - 14:51 Link

Vielen Dank, liebe Celine Edinger, für Ihre Berichterstattung. Zugleich möchte ich Ihnen als 'Älteres Semester' Mut zusprechen, so mit Ihrer Ansicht und den dazugehörigen Ausführungen wie bisher weiterzumachen. Es sind eben Ihre Versionen Ihrer Empfindungen. M. E. sprechen Sie Dinge an, die auf Einstellungen, Verhaltens- und Ausdrucksweisen hinweisen, die in unserer sich ständig (weiter)entwickelnder Gesellschaft eben weniger tolerierbar sind bzw. werden. Ob es sich bei unangenehmen Stellungnahmen einzelner Zeitgenossen gleich um um Hass-Botschaften handelt, mag ich eher als wütende Gegendarstellung bezeichnen nach dem Motto '...is ja nicht jede(r) einer Meinung!'

Florian Meier am Mi, 18.06.2025 - 22:04 Link

Willkommen in der Welt von Social Media. Übrigens ist meine Erfahrung, dass dort nicht Hassnachricht gegen sachliche Analyse steht sondern jeder einmal mehr einmal weniger polarisiert und etwas zur Ausfälligkeit neigt. Davon lebt dieses Medium. Ansonsten sind Christen keineswegs alle Harmonieexperten. Luther selbst war ein Polterer, der auch schon einmal Kopf ab forderte, in der Bibel wird bisweilen ordentlich auf den Putz oder die Geldwechslertische gehauen und kirchengeschichtlich ist christeninterner Streit der absolute Normalfall: Kaiser vs Papst, Gegenpäpste, Arianerstreit, massakrierte Täufer, Hussitenkrieg usw. usf.. Gott mit uns war eine beliebte Parole und meinte oft implizit: Tod den anderen. So gesehen, leben wir eher in zivilisierteren Zeiten.