Die demokratischen Rechte, die heute in der Verfassung verankert sind, mussten hart erkämpft werden. Nun mehren sich Stimmen, die eine Aushöhlung der Demokratie beklagen, zum Beispiel durch immer mehr Sicherheit zu Lasten von Freiheit.

Christoph Mohamad-Klotzbach: Das stimmt, die Debatten hierüber nehmen zu, aber genau das ist wichtig: Dass hierüber politisch debattiert wird!

... zum Beispiel über das Polizeiaufgabengesetz.

Mohamad-Klotzbach: Ja, das ist ein gutes Beispiel. Debatten hierüber sind wichtig, weil auch ein solches Gesetz nicht in Stein gemeißelt ist. Es gibt immer die Möglichkeit, so etwas wieder politisch zu verändern. Ich glaube, dass Abwägungsprozesse zwischen Sicherheit und Freiheit heute viel stärker von Akteuren in unserer Gesellschaft überwacht werden als früher. In der Politikwissenschaft gibt es dafür auch den Begriff der "Monitory Democracy", also der Demokratieüberwachung. Man sollte das nicht unterschätzen - als Politiker kann man nicht einfach machen, was man möchte.

Können oder sollten wir denn im internationalen Vergleich zufrieden sein mit unserer Demokratie? Ich denke an Länder wie die USA, Polen, die Türkei oder Ungarn.

Mohamad-Klotzbach: Wie Sie selbst vorhin gesagt haben, wurden viele Aspekte von Demokratie erkämpft. Aber sie sind, ich wiederhole mich, nicht in Stein gemeißelt.

Eine Gesellschaft, der Demokratie wichtig ist, darf sich nicht ausruhen. Deshalb ist es gut, dass die Menschen bei uns auf die Straße gehen. Das gab es natürlich auch in anderen Ländern. Aber offensichtlich wurde dort irgendwann akzeptiert, dass Akteure an die Macht kamen, die Rechtsstaatlichkeit reduzieren.

Dass beispielsweise Viktor Orban in Ungarn mehrmals wiedergewählt wurde, zeugt von einer gewissen Akzeptanz. Diese Situation haben wir in Deutschland derzeit nicht, was nicht heißt, dass es nicht auch bei uns so weit kommen könnte, wenn die Frustration zunimmt.

Als unbestrittene Tatsache gilt, um kurz ein anderes Thema zu streifen, dass Nationalstaaten sukzessive an Handlungsmacht einbüßen. Das liegt an transnationalen Verflechtungen, also an der Globalisierung. Wie gefährlich ist das für eine Demokratie?

Mohamad-Klotzbach: Wir leben in einem Mehr-Ebenen-System. Politische Entscheidungen werden in der EU, aber auch auf lokaler Ebene oder auf Ebene der Bundesländer getroffen. Schauen wir uns die globale Situation an, sind wir zum Beispiel mit Handelsabkommen konfrontiert. Hier allerdings gibt es keine demokratische Kontrolle. Solche Strukturen muss man durchaus als problematisch ansehen, denn, sind sie bindend, kann das die Demokratie auf nationaler Ebene schwächen.

Auch hier ist allerdings zu beobachten, man denke nur an die TTIP-Demonstrationen, dass die Öffentlichkeit wachsam ist und versucht, bestimmte Entwicklungen zu stoppen. Was Europa anbelangt, gibt es Positionen, die fordern, man solle die Europäische Union weiter demokratisieren.

Menschen, die arbeitslos wurden und es auch jahrelang nicht schafften, einen Job zu bekommen, beteiligen sich sehr oft nicht mehr an Wahlen. Warum ist das so? Und wie gefährlich ist das für unsere Demokratie?

Mohamad-Klotzbach: Studien zeigen in der Tat, dass Arbeitslose signifikant weniger an Wahlen teilnehmen. Das ist ein Problem für die Demokratie, weil diese gesellschaftliche Gruppe dann politisch nicht repräsentiert wird. Im Übrigen ist ja niemand davor gefeit, einmal selbst dieser Gruppe anzugehören, zum Beispiel bei der nächsten Rezession.

Was vermuten Sie, was könnten Gründe dafür sein, dass Arbeitslose deutlich seltener wählen?

Mohamad-Klotzbach: Es mag sein, dass sie sich nicht gehört und gesehen fühlen. Vielleicht sehen sie auch, dass es zwar Parteien gibt, die ihre Interessen vertreten, doch sie nehmen gleichzeitig wahr, dass diese Parteien keine Mehrheiten bekommen.

Schließlich ist es wohl auch so, dass Menschen, die lange in einer prekären Situation leben, erfahren, dass sich an dieser Situation nichts ändert. Und zwar ganz unabhängig davon, wer regiert. Das heißt, sie verlieren generell Vertrauen in das System.

In diesem Zusammenhang wird ja aktuell diskutiert, ob rechte Gruppierungen diese Menschen womöglich eher ansprechen.

Es stellt sich in diesem Kontext sicher die Frage, wie nah Vertreter der etablierten Parteien zum Beispiel Menschen sind, die an einem Tafel-Laden anstehen.

Mohamad-Klotzbach: Das ist ein wichtiger Punkt, über den ich mir in den letzten Jahren auch viele Gedanken gemacht habe. Ich glaube schon, dass vor allem Lokalpolitiker versuchen, mit den Menschen direkt in Kontakt zu treten. Aber das ist gar nicht so leicht. Politiker auf Bundes- und Landesebene neigen stärker dazu, sich in ihren eigenen Blasen zu bewegen. Man trifft sich zum Beispiel an Orten, wo arme Menschen nicht so einfach hinkommen.

Übrigens: Ich hatte früher in der Nähe des Würzburger Tafel-Ladens gewohnt und sah die Schlangen, die dort stehen. Ich fand das ganz furchtbar. Ebenso schlimm finde ich es, dass Rentner noch jobben müssen, weil ihre Rente nicht zum Leben reicht. Insgesamt ist es keineswegs eine kleine Gruppe von Menschen, die wenig Geld zum Leben hat. Umso wichtiger ist die Frage: Wie stellt man als Politiker zu diesen Menschen Kontakt her?

Und sicher auch: Wie ernst nimmt man die Menschen? Was arme Menschen mit der SPD erlebt haben, hat bestimmt für eine Menge Frust gesorgt.

Mohamad-Klotzbach: In der Tat belasten die von der SPD getroffenen Hartz IV-Entscheidungen die Partei bis heute. Nun versucht sie, sich neu aufzustellen. Die Menschen vertrauen ihr aber offenbar noch immer nicht. Die Linkspartei wiederum ist durch ihre SED-Vergangenheit belastet. Es bleibt sicher eine spannende Frage, wie sich Sozialdemokratie und Linkspartei weiterentwickeln. Möglicherweise gibt es irgendwann eine neue politische Kraft, die sich aus diesen beiden Parteien herausdestilliert. Dass das passiert, wäre aus meiner Sicht nicht verwunderlich.