»Wir wollen mehr Demokratie wagen«, sagte 1969 der damalige Bundeskanzler Willy Brandt. Fast 50 Jahre später forderte der scheidende Bundespräsident Joachim Gauck, die deutsche Demokratie solle wehrhaft sein.

Doch mit dem Engagement für die Demokratie und der aktiven Verteidigung unserer Grundwerte ist es auch in diesem Wahljahr nicht weit her. Zwar zeigen sich rund 70 Prozent der Deutschen mit der Demokratie zufrieden, aber die Politik- und Parteienverdrossenheit ist nach wie vor ausgeprägt.

Viele Menschen glauben, mit dem Gang zur Wahlurne genug getan zu haben. Wurde im Deutschland der 1950er- und 1960er-Jahre die Demokratie noch weitgehend mit dem Wirtschaftswunder identifiziert, so fehlen heute derartige eindeutige Zuordnungen. Es ist ja auch nicht immer leicht, hehre Ansprüche wie Volkssouveränität oder Gleichheit aller Bürger glaubwürdig auf die Vielzahl aktueller Fragen herunterzubrechen.

Demokratie im Praxistest dauert, kostet im kontroversen Diskurs viel Nerven und Zeit. Die meisten Menschen wollen aber eine schnelle Lösung ihrer Probleme. Deshalb engagiert sich die politisch wieder aktivere Jugend auch eher in kurzfristigen Projekten als in den Parteien. Gerade die brauchen aber kritisch-konstruktive Begleitung, sind doch ihre gewählten Abgeordneten das Aushängeschild unserer repräsentativen Demokratie.

Von der Bundesregierung sind deshalb Versuche mit neuen Formen der Bürgerbeteiligung forciert worden. Freilich müssen auch die Bürger selbst aus den Startlöchern kommen. Und die Politik muss deren Vorschläge im Ge­setz­gebungs­verfahren dann auch wirklich ernst nehmen und nicht nur vorwiegend den Lobbyisten aus der Wirtschaft Gehör schenken.

Unsere Demokratie muss jeden Tag aufs Neue gelebt und geschützt werden – sie ist nichts Selbstverständliches. Die Geringschätzung demokratischer Spielregeln und pauschale Politiker-schelte korrelieren oft mit einer übertriebenen Erwartungshaltung an den Staat – bei gleichzeitiger Verweigerung. Einerseits wird der Staat dann nur noch als steuerfressendes Monstrum gesehen, andererseits wird ihm optimaler Schutz zum Beispiel vor Terror und Gewalt abverlangt. Nicht selten gerade von denjenigen Wohlhabenden, die sich weitestmöglich ums Steuerzahlen drücken.

Unser Staat hat vor allem auch eine soziale Schutzfunktion. Deshalb muss sich die Politik nun endlich grundlegend den schwerwiegenden Folgen der Digitalisierung der Arbeitswelt und der Überalterung der Gesellschaft widmen. Umso mehr braucht die Demokratie keine bloßen Zuschauer, sondern aktive Impulsgeber.

 

Was denken Sie? Schreiben Sie an Stephan Bergmann: sonntagsblatt@epv.de