Das Referendum über die Verfassungsreform in der Türkei hat das Ergebnis gebracht, das sich Präsident Recep Tayyip Erdogan so gewünscht hatte – und das ihn persönlich mit einer Machtfülle ausstattet, die in modernen demokratischen Staaten nicht vorstellbar wäre.

Über Monate hat diese Wahl auch in Deutschland die Schlagzeilen in der Presse und die Themen in politischen Talkshows beherrscht, bis hin zu diplomatischen Verwerfungen zwischen den Staaten, ausgelöst durch respektlose TV-Satiren auf der einen Seite, durch bizarre Nazi-Vergleiche auf der anderen.

Noch sind die Analysten längst nicht fertig damit, die Hintergründe und die Folgen des Referendums zu durchleuchten und die Pläne Erdogans und seine zukünftige Realpolitik einzuordnen. Was aber unstrittig ist: Erdogan handelt jetzt aus einer Position der Stärke heraus.

Und er wird sich dabei auf ein formal demokratisches Wahlergebnis berufen, auch wenn internationale Spielregeln der Demokratie in der Türkei nicht erst seit dem Putschversuch im vergangenen Jahr keine Rolle mehr spielen. Der seit Sommer 2016 geltende Ausnahmezustand hat es Erdogan leicht gemacht, eine kritische Presse weitgehend mundtot zu machen, die politische Opposition in die Nähe von Terroristen zu rücken, die öffentliche Verwaltung und besonders die zuvor unabhängige Justiz zu "säubern", wie er es ausdrückte.

Derzeit spricht nichts dagegen, dass Erdogan von seiner Linie abweichen könnte: Widerspruch wird nicht geduldet. Und man darf davon ausgehen, dass er das in allen Bereichen der türkischen Gesellschaft durchsetzen will.

Als Verfechter eines politischen Islam hat er nach fast 100 Jahren eines der Prinzipien von Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk über Bord geworfen. Die Rückkehr zu einer Staatsreligion mag nur eine Frage der Zeit sein – und damit eine Frage nach der Zukunft von religiösen Minderheiten in der Türkei.

Mehr als 99 Prozent der 70 Millionen Einwohner dort sind Muslime. Die nur rund 100.000 Christen gelten allenfalls als Randgruppe. Es ist erst ein gutes Jahr her, als die von vier christlichen Gemeinden genutzte Französische Kirche in Bursa von der Schließung bedroht war.

Einer Internet-Petition und einer Reihe von Eingaben war es zu verdanken, dass die Kündigung zurückgenommen wurde – pikant allerdings, dass während des Streits um Wahlkampfauftritte türkischer Politiker in Deutschland ausgerechnet die Stadt Bursa ihre Städtepartnerschaften mit Darmstadt und Kulmbach vor wenigen Wochen auf Eis legte.

Am 1. August geht die Münchner Pfarrerin Gabriele Pace als Pfarrerin zur deutschsprachigen Evangelischen Gemeinde in der Türkei. Ein Amt, das noch nie leicht war. Und das jetzt vielleicht schwerer ist als je zuvor.

 

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