Auch der letzte Corona-Pessimist muss zugeben, dass Deutschland beim Impfen endlich Fahrt aufgenommen hat. Seit letztem Wochenende gilt für einen der Impfstoffe keine Priorisierung mehr und sogar Jugendliche könnten bis September immunisiert sein. Für Geimpfte winken Lockerungen: Sie brauchen künftig keinen Test mehr, um einzukaufen, und können sich sogar "ungezählt" mit anderen treffen.
Doch an einer Bevölkerungsgruppe geht diese Entwicklung bislang spurlos vorbei: an den Menschen in den Altenheimen. Nach wie vor gilt für Pflegeheime, genauso wie für Krankenhäuser und Behinderteneinrichtungen,die 12. Bayerische Impfschutzmaßnahmenverordnung: Sie bestimmt, dass jeder Besucher einen zertifizierten Schnelltest vorweisen muss und seine Angehörigen nur mit Maske und Abstand treffen darf.
Gleichbehandlung aller Bürger unabhängig von der Wohnsituation
Die Caritas und die Diakonie in München, die für ihre Pflegeeinrichtungen Impfquoten von bis zu 90 Prozent reklamieren, laufen dagegen Sturm. Sie fordern eine Gleichbehandlung aller Bürger unabhängig von der Wohnsituation. Mit welcher Begründung, so die Argumentation, soll ein Geimpfter testfrei in den Baumarkt gehen, aber nicht seine ebenfalls geimpfte Mutter besuchen können? Für die Lebensqualität in der oft kurzen letzten Lebensphase der alten Menschen seien mehr ungezwungene Begegnung und Nähe der entscheidende Faktor.
Die Antwort des Bayerischen Gesundheitsministeriums ist eindeutig: Es sei nach wie vor eine der "obersten Pflichten, alles für den Schutz der verletzlichsten Mitglieder unserer Gesellschaft zu tun". Die Corona-Impfung biete – wie alle anderen Impfungen – keine hundertprozentige Sicherheit. Um die vulnerable Gruppe der Altenheimbewohner vor immer noch möglichen Covid-Erkrankungen zu bewahren, blieben Test, Maske und Abstand deshalb auch mit Impfung Pflicht.
Was ist künftig das neue Normal?
Eine schnelle Lösung der Situation scheint nicht in Sicht. Dahinter steht allerdings eine viel grundsätzlichere Frage: Wie werden wir als Gesellschaft, als Rechtsstaat einen Weg mit dem Virus finden, wenn alle, die das wollen, geimpft sind? Welchen Blick auf Krankheit, Gesundheitsschutz und Lebensrisiko werden wir entwickeln? Was ist künftig das neue Normal im Umgang mit persönlicher Freiheit versus Verantwortung für die Gemeinschaft?
Zumindest für den Bereich der Altenheime hat die Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene einen Vorschlag gemacht. Kernforderung: Geimpfte Bewohner, Mitarbeiter und Besucher sollen sich in der Einrichtung ohne Einschränkungen, auch ohne Maske, begegnen können.
Wofür hätten sie sich sonst impfen lassen? Die Diskussion hat erst begonnen.