Nach dem Schuljahr ist vor dem Schuljahr: Während in Norddeutschland seit Anfang August schon coronakonformer Regelschulbetrieb geprobt wird, versuchen sich bayerische Familien in den Sommerferien zu entspannen.
Manch einem fällt das mit Blick auf steigende Infektionszahlen nicht leicht, denn alle wissen: Die Zusicherung von regulärem Unterricht ab September gilt nur unter Vorbehalt. Steigen die Zahlen, drohen wieder Homeschooling oder lokale Schulschließungen, mit allen Folgen für einen wahnsinnigen Familienalltag.
Familien retten die DJH-Sommersaison
Mit Sorge schauen auch Jugendbildungsstätten, evangelische Jugendhäuser und das Deutsche Jugendherbergswerk (DJH) auf September. Bei den Jugendherbergen sind derzeit 285 von 450 Häusern wieder geöffnet und können, dank vieler urlaubender Familien, laut DJH kostendeckend arbeiten.
Ab September jedoch gähnt ein großes Loch: Rund 40 Prozent der Jugendherbergskunden sind Schulklassen. Doch die dürfen bis Ende Januar nicht kommen – ein ministerielles Schreiben aus dem Kultusministerium untersagt mehrtägige Schulfahrten bis Februar. Danach sind sie den Schulen – kostenlose Stornierungsmöglichkeit vorausgesetzt – freigestellt.
Lehrplan statt Klassenfahrt
Viele Häuser bringt das Verbot an den Rand der Existenz, manche bis Sommer 2021 auch darüber hinaus. Dabei hat das Kultusministerium bei seinem Verbot nicht in erster Linie den Infektionsschutz im Sinn.
Der Grund ist: der Lernstoff. Obwohl das Ministerium gebetsmühlenartig wiederholt, wie toll das Homeschooling zuletzt lief, haben die Wochen im Distanzunterricht ein Wissensgefälle in der Schülerschaft hinterlassen. Das muss jetzt begradigt werden, mithilfe von Extrakursen und Powerlernen im Herbst. Klassenfahrt? Ist da nicht drin.
Dabei haben die Jugendherbergen ihre Wurzeln in der Schule: Der Volksschullehrer Richard Schirrmann – der sich später leider dem NS-Regime anbiederte – hatte vor 111 Jahren, im August 1909, mit seinen Schülern in einer Dorfschule vor einem Unwetter Zuflucht gefunden. So entstand die Idee eines Netzwerks von einfachen, jedermann zugänglichen Herbergen. 1914 wurde die erste Jugendherberge auf Burg Altena in Nordrhein-Westfalen gegründet.
Jugendhäuser sind Bildungsorte
Auch heute noch verstehen Jugendherbergen sich als Bildungsorte: Es gibt Planungshilfen für Lehrer, Broschüren für Klassenfahrten und fertige Angebotspakete, mit denen sich von Mittelalter bis Naturforscher eine Menge Themen des Heimat- und Sachunterrichts abdecken lassen.
"Jugendherbergen sind per se Bildungsorte und können auch als verlängerte Schulbank verstanden werden", teilt das DJH auf Anfrage mit. Gleiches gilt für evangelische Jugendhäuser und Jugendbildungsstätten.
Was ist aus der Aufbruchsstimmung geworden?
Zur Erinnerung: Am Anfang der Corona-Krise wehte eine Art Aufbruchshoffnung durchs Land. Die Pandemie, so dachten viele, würde festgefahrene Strukturen lockern, Weichen neu stellen, die Gesellschaft irgendwie besser machen.
Im Sinne dieser Vision könnten Kultusministerium und Jugendhäuser zu einer Win-win-Situation gelangen: Das Ministerium schaltet die Klassenfahrtampel von Verbots-rot auf Dringend-empfohlen-grün. Das schafft in den Schulgebäuden Abstand. Jugendhäuser bekommen Kundschaft und können ihren Fortbestand sichern. Schülerinnen und Schüler erleben stärkende Gemeinschaft und ja, sie lernen trotzdem was.
Und wenn Corona dann irgendwann kontrollierbarer geworden ist gibt es resiliente Kinder, die gemeinsam eine Krise gemeistert haben; Jugendhäuser, die auch in Zukunft Platz für Gemeinschaftserlebnisse bieten; und ein Schulsystem, das mehr aufs Ganze setzt, statt zu oft nur aufs Ergebnis.
Pardon. Jetzt hab ich kurz geträumt.