Die Jugendsiedlung Hochland bei Königsdorf im Landkreis Bad Tölz ist seit Jahrzehnten eine beliebte Adresse für Sommerfreizeiten und außerschulische Projektwochen. Im Übernachtungshaus ist Platz für 110 Kinder und Jugendliche, auf dem 31 Hektar großen Gelände zelten im Sommer pro Woche bis zu 2.000 Menschen.

Derzeit sind es wegen der Corona-Auflagen maximal 230, in Kleingruppen zu 10 Personen. Schulklassen kommen bis zum Sommer 2021 gar nicht mehr. Betriebsleiter und Bildungsreferent Roland Herzog über ungewisse Perspektiven und ungenutzte Möglichkeiten.

Das Kultusministerium hat per ministeriellem Schreiben angeordnet, dass Schulen bis Januar 2021 keine Klassenfahrten unternehmen wegen Corona und weil der Lernstoff aus den Krisen-Wochen nachgeholt werden muss. Bis Sommer 2021 sind Klassenfahrten nur erlaubt, wenn kostenlose Stornierung garantiert wird. Was bedeutet das für Ihre Einrichtung?

Roland Herzog: Normalerweise beherbergen wir viele Schulklassen für Umwelt-Erlebniswochen, Kommunikations- und Kooperationstrainings oder Projektwochen Alltagskompetenz. Die ministerielle Anordnung bedeutet für uns, dass der Fortbestand der Jugendsiedlung Hochland ungewiss ist. Dabei könnten Einrichtungen wie unsere erheblich dazu beitragen, damit der Schulbetrieb trotz Corona stabil läuft.

Inwiefern?

Herzog: Unsere Seminarräume sind doppelt bis dreimal so groß wie ein Klassenzimmer. Man könnte mehr Abstand in überfüllten Schulgebäuden schaffen, wenn man zum Beispiel kontinuierlich einzelne Klassen oder ganze Jahrgangsstufen auf Projektwochen zu uns oder ähnlichen Einrichtungen schickt. Unsere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sind Pädagogen. Sie haben täglich mit Kindern und Jugendlichen und mit Wissensvermittlung zu tun. Statt nur im starren Schulschema zu denken, könnte die Politik unter Einbezug von Jugendbildungseinrichtungen wie uns eine ganz andere Idee von Lernen und damit von Schule entwickeln. Aber diese innovative Idee wird es schwer haben, denn dafür müssten sich nicht nur das Kultus- und das Sozialministerium, sondern auch noch das Gesundheits- und Finanzministerium einigen.

Eine oder gar mehrere Wochen pro Schuljahr in einer Umweltstation oder Jugendbildungsstätte: Lernt man da denn was?

Herzog: Kommt drauf an, was man unter Lernen versteht. Anders als das formale Bilden an den Schulen zielt Jugendbildungsarbeit auf informelles Lernen und non-formale Bildung. Die Gruppen hier schaffen etwas miteinander, sie lernen demokratische Prozesse ? und eine Menge praktische und lehrplanrelevante Dinge. Bei uns warten 30 Tablets darauf, dass Schüler mit ihnen rausgehen in die Natur. Warum sollte man sich eine Schlüsselblume mithilfe des Beamers im Klassenzimmer anschauen, wenn man bei uns Fotos von Wildblumen machen und dazu ein Quiz erstellen kann, das am Abend alle gemeinsam spielen? Kinder können bei uns Blumenwiesen ansäen oder am Isarufer Weiden schneiden und dabei etwas über Hochwasserschutz lernen. Unser Haus und unser Gelände bieten Möglichkeiten für alle Jahrgangsstufen.

Was sagen die zuständigen Stellen zu solchen Konzepten?

Herzog: Ich habe den Eindruck, dass das Schulsystem zu starr für solche Konzepte ist. Lieber verschanzt man sich hinter Hygienebedenken und stellt Hilfskräfte ein, statt die pädagogischen Fachkräfte zu nutzen, die es in der Jugendarbeit schon gibt. Unsere Angebotsformen außerhalb der Schule wurden bisher auch von Schulen genutzt und sind Teil schulischer Konzept ? letztlich ginge es darum, dies weiter auszubauen statt eines Rückzugs in die Schule. Der Mensch ist ein soziales Wesen. Schülerinnen und Schüler brauchen Räume für Wertediskussionen und Gruppenprozesse. Im Homeschooling findet diese Form von Bildung nicht statt.