"Jeder ist ersetzbar. Und es kann schnell gehen": Diese Einsicht begleitet Diakon Peter Klentzan seit August 2008. Herzinfarkt bei einer Bergtour. Rettung mit dem Hubschrauber. Klentzan überlebte, aber es war knapp. Danach wusste er: Es muss, es wird sich etwas ändern.

Dabei gibt es im Leben von Peter Klentzan eigentlich nicht viele Brüche. Vieles fügte sich organisch ineinander und wuchs: Als Jugenddiakon in Gröbenzell hat er 1981 angefangen. Evangelische Jugendarbeit, wie sie damals üblich war: Zeltlager und Sommercamps – und so erfolgreich, dass es sich herumsprach. 1988 traute man Klentzan die schwierige Stelle an der Versöhnungskirche auf dem Gelände der KZ-Gedenkstätte Dachau zu.

Rund um ein Zeltlager, eine israelisch-deutsche Jugendbegegnung, knallte es in Dachau erst einmal. Klentzan hatte in einem offenen Brief beklagt, die Gemeinde behindere das Zeltlager nach Kräften und weiche der Auseinandersetzung mit der Geschichte aus. Mit dem NS-Erbe Dachaus taten sich die örtliche CSU und ihr Bürgermeister damals noch schwer.

Aus Zeltlagern wurden "Sommerakademien"

Heute sind fast alle Dachauer stolz auf die internationale Begegnungsstätte, die knapp zehn Jahre nach Klentzans Brandbrief aus den Zeltlageranfängen entstanden ist. Und auf die lebendige Erinnerungskultur am Ort. Nach dem Tod des Holocaust-Überlebenden Max Mannheimer im vergangenen Jahr trägt das Haus der Begegnungsstätte seinen Namen. Mannheimer hat das Projekt von Anfang an unterstützt und wurde zum langjährigen Wegbegleiter von Peter Klentzan.

Was sind die seelischen Wunden, die Verfolgung und Krieg geschlagen haben? Was lässt sich heute und ganz konkret tun, um zur Heilung beizutragen? Vor allem dies ist vielleicht die Leitfrage über dem Leben von Diakon Peter Klentzan, der immer leidenschaftlich "lutherische Apfelbäumchen" gepflanzt hat.

Eine Ausstellung von Kinderbildern aus dem bosnischen Bürgerkrieg stand 1994 am Anfang des nächsten Kapitels. Kinder von niederländischen NS-Widerständlern und Lagerüberlebende hatten die Idee, über eine Stiftung namens "Wings of Hope" (Flügel der Hoffnung) vom Krieg traumatisierten Kindern zu helfen. Klentzan, der die Idee bei einer Studienreise nach Amsterdam kennengelernt hatte, reiste nach Bosnien und organisierte Hilfe für die Kriegskinder Sarajevos.

Diakon Peter Klentzan.

Innenminister und Sandkastenfreund

Der zunächst ehrenamtlich geführte deutsche Ableger von "Wings of Hope" hat sich in den nicht einmal 15 Jahren seither mit weiteren Projekten im Irak, in Israel/Palästina, in Brasilien und El Salvador zu einem globalen traumatherapeutischen Vorzeigeprojekt entwickelt. Aus Klentzans ehrenamtlichem Engagement wurde erst ein Nebenamt, dann ein Vollzeitjob und schließlich, 2003, eine Stiftung der bayerischen Landeskirche, die heute fünf Mitarbeiter beschäftigt.

Klentzan als "Netzwerker" zu bezeichnen, trifft die Sache nicht. Er ist eher einer, dem es gegeben ist, sich mit seiner Freundlichkeit, mit wachem Geist und großem Einfühlungsvermögen viele Freunde zu machen und die dann auch zu behalten. Es sagt zum Beispiel viel über Peter Klentzan, dass der bayerische Innenminister Joachim Herrmann zum Kuratorium der Stiftung "Wings of Hope" gehört.

Nicht weil der CSU-Politiker ist und die Stiftung sich um eine möglichst breite und hochrangige Verzahnung mit Politik und Gesellschaft bemüht. Sondern weil Klentzan und Herrmann seit Sandkastentagen befreundet sind. Beide sind Enkel von Postbeamten, der Erlanger Herrmann verbrachte regelmäßig die Ferien in München. Die Hinterhoffreundschaft lebt – trotz gelegentlicher durchaus scharfer politischer Meinungsunterschiede – bis heute.

Mit Blasen an den Füßen Freundschaft schließen

Bei der Therapie von durch Gewalt und Krieg verursachten seelischen Verwundungen geht es um einzelne Menschen und ihre ganz eigene Geschichte. Aber oft ähneln sich diese Geschichten. Von Anfang an haben ­Klentzan und "Wings of Hope" deshalb auch auf Begegnungen über die Grenzen von Kulturen, Ethnien, Religionen hinweg gesetzt. Aus den Zeltlagern wurden "Sommerakademien für interkulturellen Dialog" am Ruhpoldinger Labenbachhof.

Die Methoden der evangelischen Jugendarbeit funktionierten auch hier: Gruppenerlebnisse verbinden, bauen Brücken. Fester Bestandteil der Sommerakademien: eine für Flachlandtiroler aus dem Nahen Osten durchaus anspruchsvolle Bergtour zur imposanten Hörndlwand – inklusive Übernachtung auf einer Bergwachthütte. Muslime, Juden und Christen aus den verschiedensten Nationen und Lebenszusammenhängen haben sich in Ruhpolding kennengelernt und sind mit Blasen an den Füßen Freunde geworden.

Unter der Leitung von Klentzans Frau Renate ist das einst schlecht ausgelastete Freizeitenheim der Rummelsberger Diakonen-Brüderschaft neu aufgeblüht. Seit 2015 gehört der Labenbachhof ganz der Stiftung "Wings of Hope".

Die Familie ist noch einmal gewachsen

Am 22. März wird Peter Klentzan 60 Jahre alt. Fast neun Jahre ist es nun her, dass die Sommercamp-Tour zur Hörndlwand für ihn auf einer Trage endete, angeseilt unter einem Rettungshubschrauber. Seither hat der Diakon etwas den Fuß vom Gas seines hochtourig geführten Lebens genommen. Aber nun "kommt das Herz nicht mehr zur Ruhe", wie ­Klentzan sagt, "auch nachts nicht". Am 1. Februar hat ihn der Vertrauensarzt mehr oder weniger über Nacht in den Ruhestand geschickt.

Etwa leichter fällt Klentzan das Loslassen, weil er auch künftig noch ein paar Dinge machen wird, als Lehrer in der Ausbildung von Traumatherapeuten zum Beispiel. Und weil er das Gefühl hat, dass "Wings of Hope" in den Händen eines guten Teams ist – in München und Nürnberg, in den Auslandsprojekten, im Trauma-Hilfe-Zentrum am Labenbachhof.

Über den Labenbachhof, auf dem seit einigen Jahren auch minderjährige jugendliche Flüchtlinge unterkommen, hat sich das jüngste Kapitel im Leben der Klentzans ergeben. Drei erwachsene Kinder hatten die beiden schon. Nun sind vor einiger Zeit zu Tobias, Nina und Miriam die afghanischen Pflegesöhne Hussein, Enajat und Asib (mittlerweile alle 18 Jahre alt) dazugekommen.

Den heute 19-jährigen Mansour, Vollwaise aus Kabul, haben die Klentzans inzwischen adoptiert. In wenigen Wochen macht Mansour Klentzan sein Fachabitur.

TERMIN

Der Gottesdienst zur Verabschiedung von Diakon Peter Klentzan findet am 12. März um 17 Uhr in der Versöhnungskirche in der KZ-Gedenkstätte Dachau statt.