Zum Kinderkriegen in die Klinik? Vor den Wirtschaftswunderjahren war das völlig unvorstellbar - zum Gebären kamen die Hebammen ins Haus. Maria Sperling etwa war 40 Jahre als Hebamme im unterfränkischen Gerolzhofen (Kreis Schweinfurt) unterwegs. Gut 30 Jahre nach ihrem Tod hat ihre Tochter Renate Förster ein Buch über sie geschrieben - bestehend aus Erinnerungen von Frauen, die Sperling als Hebamme begleitet hat. Gefunden hat sie die per Aufruf in der Lokalzeitung.

Frau Förster, Sie haben ein Buch über Ihre verstorbene Mutter veröffentlicht. Was haben Sie beim Schreiben erfahren, was Sie vorher noch nicht wussten?

Renate Förster: Meine Mutter starb mit 79 Jahren bereits im Jahr 1990. Ich war sehr überrascht, dass sich so viele Frauen und Männer auf meinen Aufruf in der Lokalzeitung hin bei mir gemeldet haben. Alle eint, dass es ihnen - nach so langer Zeit noch - wichtig war, ihre teils sehr persönlichen Wertschätzungen und Erinnerungen an "Ihre Frau Sperling" mit mir zu teilen. Hebamme war nicht nur der Beruf meiner Mutter, es war ihre Berufung. Den vielen Erzählungen zufolge war sie eine regelrechte Institution - und hatte oft mehr Fachwissen als die Ärzte, die bei den Geburten mit dabei waren.

"Dass - wie heute üblich - Väter bei den Geburten dabei sind, war völlig undenkbar."

Ihre Mutter Maria Sperling war von 1936 bis 1976 als Hebamme tätig - an ihr lässt sich gut auch der Wandel des Geburtsalltags nachvollziehen, oder?

Förster: Sie war jedenfalls rund um die Uhr für ihre Frauen und deren Kinder unterwegs - an sieben Tagen die Woche. Auch während der Luftangriffe in und um Schweinfurt während der Kriegsjahre war sie im Einsatz - und musste dann manchmal mit ihrem motorisierten Fahrrad unterwegs Schutz im Straßengraben suchen. Anfang der 1950er Jahre nahmen die Geburten im Krankenhaus zu. Jeden Morgen und am Spätnachmittag versorgte meine Mutter die Wöchnerinnen und ihre Babys. Dass - wie heute üblich - Väter bei den Geburten dabei sind, war völlig undenkbar.

Hebammen verhelfen vielen Familien zu Glücksmomenten, manchmal verläuft eine Geburt aber auch nicht wie geplant. Welche Rolle hat bei ihrer Mutter der Glaube gespielt?

Förster: Meine Mutter war eine sehr gläubige Frau. Ob katholisch oder evangelisch: "Wir haben alle den gleichen Herrgott", hat sie immer gesagt. Das war ihr Lebensmotto. Sie dankte Gott, dass ihr in den 40 Jahren Hebammentätigkeit bei mehr als 7.000 Geburten keine Mutter gestorben war. Ihr war wichtig, jedes Kind mit einem Kreuzzeichen zu segnen - und sie lud die Mütter dazu ein, es ihr gleich zu tun. Nach dem Abzug der Klosterschwestern war sie außerdem viele Jahrzehnte lang Küsterin in der Gerolzhöfer Krankenhauskapelle.