Zum zweiten Jahrestag des Massakers vom 7. Oktober 2023 hat der Penzberger Imam Benjamin Idriz den Hamas-Terror als "unislamisch" verurteilt. Wer Unschuldige töte, verschleppe oder als Geiseln halte, widerspreche "dem moralischen und rechtlichen Kodex des Koran", erklärte der Theologe am Montag in einem Schreiben mit der Überschrift "Persönliche Reflexionen zu Gerechtigkeit, Frieden und Verantwortung".
Kritik an Deutschlands einseitiger Israel-Politik
Idriz kritisierte aber auch Deutschlands "bedingungslose" Rückendeckung Israels im Gaza-Krieg, die zwar "aus historischer Perspektive nachvollziehbar", aber in ihrer Konsequenz "oft schmerzhaft einseitig" sei. Viele Stimmen im Westen sprächen über den 7. Oktober, als sei davor alles friedlich gewesen.
"Doch Gaza war schon lange zuvor das größte Freiluftgefängnis der Welt", betonte der Vorsitzende des Münchner Forums für Islam. Um das aktuelle Leid in Gaza zu erkennen, müsse man weder Muslim, Christ, Jude, andersgläubig noch nichtgläubig sein, schrieb Idriz:
"Es genügt, Mensch zu sein."
Anerkennung des jüdischen Leids und Mitgefühl zeigen
Als "gut und wichtig" bezeichnete der Münchner Regionalbischof Thomas Prieto Peral diese Einordnung des 7. Oktobers aus muslimischer Sicht. Idriz distanziere sich in dem Papier klar von den Verbrechen der Hamas und drücke sein Mitgefühl mit den israelischen Opfern aus, sagte der Theologe auf Anfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd).
Zugleich stelle der Imam auch die Lebenswirklichkeit von Palästinensern unter der israelischen Besatzung dar, wie sie seit Jahrzehnten herrsche - "auch das ist legitim und notwendig". Die Diskussion um die israelische Politik in Gaza und der Westbank müsse geführt werden, "und sie darf in Israel und hier geführt werden", sagte Prieto Peral.
Der Regionalbischof hatte am vergangenen Freitag beim Tag der offenen Moschee im Islamischen Zentrum Penzberg eine Rede gehalten und dabei betont, dass vor Gott "alle Menschen gleich und in ihrer Würde unantastbar" seien. Dafür müssten alle Religionen gemeinsam eintreten.
Appell an Menschlichkeit und universelle Gerechtigkeit
In seinem Positionspapier bezeichnete Imam Idriz den 7. Oktober 2023 als größte jüdische Tragödie seit der Shoah. Für das jüdische Volk markiere dieser Tag "eine tiefe Wunde, die sich in das kollektive Gedächtnis eingebrannt hat", erklärte er.
Zugleich falle es vielen Muslimen und Arabern schwer, dieses Leid anzusprechen, weil das Leid des palästinensischen Volkes seit über siebzig Jahren andauere. Die Anerkennung Palästinas als Staat durch mehrere Länder sei "ein symbolischer, aber längst überfälliger Schritt".
Der aktuelle Krieg in Gaza mit zehntausenden Toten gelte "in der moralischen Wahrnehmung von Millionen, wenn nicht Milliarden Menschen" als "genozidales Verbrechen größten Ausmaßes", erläuterte der Imam.
Die deutsche Politik, die sich durch Waffenlieferungen an Israel am Gaza-Krieg "faktisch beteiligt" habe, könne ihre Fehler noch "durch Selbstreflexion, Empathie und politisches Umdenken" korrigieren.
Verantwortung für Brückenbau und universelle Menschenrechte
Die Mehrheit der Bevölkerung wünsche sich eine Politik, "die Brücken baut, nicht Mauern", betonte Idriz. Deshalb trügen deutsche Politikerinnen und Politiker nun die Verantwortung dafür, das Vertrauen der Muslime zurückzugewinnen, die Kluft zwischen den Religionsgemeinschaften zu überwinden und eine Politik zu gestalten, die Gerechtigkeit als universalen Wert begreife: "Menschenrechte sind universell - oder sie sind gar nichts."
Am 7. Oktober vor zwei Jahren hatten Hamas-Terroristen Israel überfallen, rund 1.200 Jüdinnen und Juden ermordet und über 240 Menschen als Geiseln verschleppt. 48 von ihnen befinden sich noch immer in der Gewalt der Hamas. Der Angriff löste den Krieg zwischen Israel und der Hamas aus, dem im Gaza-Streifen Zehntausende Menschen zum Opfer fielen.