Lizzie Doron ist gerade mit ihrem neuen Buch fertig geworden. Ob es jemals in ihrem Heimatland erscheinen wird, weiß sie nicht. Dabei war Doron in Israel bis vor wenigen Jahren eine Berühmtheit und Vorzeige-Autorin. Ihre ersten Bücher über die Traumata von Holocaust-Überlebenden wurden zu Bestsellern und zum Teil Pflichtlektüre in Schulen.

Doch dann wechselte die Schriftstellerin das Thema: Sie fing an, über den israelisch-palästinensischen Konflikt und die Freundschaft mit einem Palästinenser zu schreiben. Das veränderte alles. "Seitdem bin ich für viele eine Verräterin, eine Persona non grata", sagt die 66-jährige Tochter von Schoah-Überlebenden dem Evangelischen Pressedienst epd.

Anders als zuvor werde sie heute in Israel nicht mehr zu offiziellen Veranstaltungen eingeladen, etwa in die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem, und sie dürfe keine Vorlesungen oder Reden mehr halten, erklärt sie. Ihre israelischen Verleger weigerten sich, die Bücher "Who the Fuck Is Kafka" und "Sweet Occupation" zu veröffentlichen. "Sie sagten mir: 'Warum hörst Du plötzlich auf, uns über den Holocaust zu erzählen? Das Thema hat sich so gut verkauft. Mit dem Palästinenserthema begehst Du als Autorin Selbstmord'", erzählt sie. So etwas wolle in Israel niemand lesen. Sie sei wütend gewesen und enttäuscht, erinnert sich Doron. Auch Selbstzweifel hätten sie geplagt: "Ich habe mich gefragt: Ist das, was ich schreibe, nicht mehr gut genug?"

Lizzie Doron: Autorin ohne Leser

Stattdessen erschienen die Werke 2015 und 2017 zuerst auf Deutsch und fanden hierzulande viele Leser. Das gab Doron wieder Zuversicht, wie sie sagt: "Dann bin ich eben nun keine israelische Autorin mehr, sondern eine deutsche." Die Reaktion auf die beiden Bücher habe ihr gezeigt, dass ihre Heimat sie nicht mehr akzeptiere. "Bei mir zu Hause interessiert sich keiner für meine Erfahrungen", sagt Doron, die sich mit einem Palästinenser anfreundete und über dessen Leben schrieb. Sie sei dankbar dafür, dass das im Ausland anders sei. "Eine Autorin ohne Leser - das wäre ein Desaster. Aber ich habe eine Alternative. Den hohen Preis dafür bin ich zu zahlen bereit."

Inzwischen lebt Doron mit ihrem Mann neben Tel Aviv auch in Berlin. Auch ohne konkrete Bedrohungen sei die Atmosphäre unter der rechtsnationalen Regierung in Israel für jeden "auf der linken Seite der politischen Landkarte" so angespannt, "dass es offenkundig besser ist, weit weg zu sein", sagt sie. Noch vor einigen Jahren hätte sie sich das nicht vorstellen können. Damals sei sie von staatlicher Seite hofiert und mit Preisen geehrt worden.

 Lizzie Dorons Eltern überlebten den Holocaust

Zum Schreiben gekommen ist die Linguistin erst mit über 40. Damals sollte ihre Tochter für die Schule im Rahmen der sogenannten Wurzelarbeit etwas über die Familiengeschichte schreiben. "Ich konnte ihr nichts sagen außer einem Wort: 'Holocaust'", erinnert sich die Autorin mit den blonden Locken und der Schmetterlingsbrille, die selbst zur sogenannten zweiten Generation gehört, also den Kindern von Schoah-Überlebenden. Doron wuchs als Einzelkind und ohne Vater in einem armen Viertel von Tel Aviv auf, die Mutter weigerte sich, über die Vergangenheit zu sprechen.

Dorons Tochter brach in Tränen aus, als ihre Mutter ihr nichts über die Familie erzählen konnte. Das brachte Doron dazu, der eigenen Vergangenheit nachzugehen: Das 1998 veröffentlichte "Warum bist du nicht vor dem Krieg gekommen?" war das erste Ergebnis. Weitere Bücher folgten, darunter "Das Schweigen meiner Mutter" und "Ruhige Zeiten" aus dem Jahr 2003, für das die Autorin von der Holocaust Gedenkstätte Yad Vashem ausgezeichnet wurde.

Warum sie dann auf dem Höhepunkt ihres Erfolgs das Thema wechselte, um über den Alltag von Palästinensern unter der israelischen Besatzung zu schreiben? Auslöser war eine Friedenskonferenz in Rom, auf der Doron sich mit dem arabisch-palästinensischen Filmemacher Nadim anfreundete.

Freundschaft mit palästinensischen Filmemacher

Die Schriftstellerin verbrachte viel Zeit mit Nadim und seiner Familie in Ost-Jerusalem. "Mir ist plötzlich klargeworden, welch hohen Preis viele Menschen dafür zahlen, dass wir Juden in Israel leben können", sagt Doron. "Das hat mich tief bewegt, davon wollte ich erzählen und vielleicht einen kleinen Beitrag zur Verständigung leisten."

Damit verstieß sie jedoch gegen ein Tabu, wie der Literaturwissenschaftler Eldad Stobezki erklärt. "Autoren wie sie, die den Mut zu kritischen Tönen haben, gelten in Israel schnell als Nestbeschmutzer", sagt der Experte für israelische Literatur, der selbst aus Israel stammt und seit 1979 in Frankfurt am Main lebt.

Die Lage für Kulturschaffende habe sich in den vergangenen Jahren dramatisch verschlechtert: Wer Kritik an der Regierung übe, müsse um staatliche Förderung bangen und werde totgeschwiegen. "Deshalb traut sich nur noch eine sehr kleine Minderheit, etwas gegen die offizielle Linie zu sagen", sagt Stobezki. Dorons früherer israelischer Verlag Keter äußerte sich auf epd-Anfrage nicht dazu, warum die jüngsten Bücher der Autorin nicht ins Programm genommen wurden.

Lizzie Doron ist jedenfalls entschlossen, sich nicht mundtot machen zu lassen. Auch in ihrem neuen Buch geht es um den Preis von Krieg und Hass. Die Autorin erzählt darin von einem inzwischen verstorbenen Freund, der als Soldat nach dem Jom-Kippur-Krieg 1973 in syrische Gefangenschaft geriet und traumatisiert zurückkehrte. Das Buch soll in diesem Jahr unter dem Titel "Was wäre wenn" auf Deutsch erscheinen. Über die Frage, ob es auch in Israel veröffentlicht wird, macht sie sich wenig Gedanken, wie sie sagt: "Mein Publikum und mein Verlag sind jetzt in Deutschland."