Felix Leibrock ist nicht nur Krimiautor und Polizeiseelsorger. Er könnte auch als Humorist durchgehen. Wenn er in einer seiner Lesungen sein "Best-of" der Neuerscheinungen des Jahres 2019 vorstellt, kommen seine Zuhörer um das Lachen nicht herum. Seit über 20 Jahren stellt er bei seinen Lesungen die Bücher anderer Autoren vor.

Heuer hat Leibrock das Motto "Ist Glück Glückssache?" gewählt. Das Glück sei nicht nur purer Zufall, sagt der 59-Jährige. "Glück ist auch ein Verdienst. Man kann etwas dafür tun. Das hat etwas mit der inneren Einstellung zu tun."

Julian Barnes: Die einzige Geschichte

Roman, Köln, Kiepenheuer & Witsch, 2019. 304 Seiten, 22.- Euro.

Dass das Leben zwar vorwärts gelebt, aber nur rückwärts verstanden werde, dieser Gedanke beschäftigt Julian Barnes in "Die einzige Geschichte". Er lässt einen Mann mit dem Abstand von 50 Jahren auf sein früheres Ich blicken. Eine ungewöhnliche Liebesbeziehung zwischen dem 19-Jährigen und einer verheirateten 48-jährigen Frau im England der späten 1960er-Jahre. Die Frau trinkt, wird dement – eine harte Bewährungsprobe für die Liebe. Wechsel von der Ich- über die Du- in die Er-Perspektive als Zeichen der Selbstentfremdung des Protagonisten. Die zentrale Frage: "Würden Sie lieber mehr lieben und dafür mehr leiden oder weniger lieben und weniger leiden?" Einfühlsame Sprache, regt zum Reflektieren über die Liebe des Lebens an.

Eugen Ruge: Metropol

Roman, Hamburg, Rowohlt, 2019. 432 Seiten, 24,- Euro.

Stark autobiographischer Roman Ruges über seine Großeltern. Junge politische Idealisten schließen sich 1936 dem kommunistischen Geheimdienst an und fliehen aus Nazi-Deutschland in die Sowjetunion. Doch auch dort erfasst sie die Angst vor Deportation und Ermordung - durch die Großen Säuberungen unter Stalin. Veranschaulicht eindringlich das Machtinstrument totalitärer Regime: Das Säen von Misstrauen unter Funktionsträgern. Mit starken sprachlichen Bildern.

Michel Houellebecq: Serotonin

Roman, Köln, DuMont, 2019. 336 Seiten, 24,- Euro

Gibt es ein Medikament, das glücklich macht? In Michel Houellebecqs "Serotonin" nimmt der Protagonist ein Antidepressivum und verliert deswegen seine Libido. Wie immer bei Houellebecq ein Roman mit Hang zum Fatalismus und dem Beleuchten der Ursachen für die seelische Verarmung so vieler in Zeiten des Neoliberalismus.

Bernd Polster: Walter Gropius. Der Architekt seines Ruhms

München, Hanser, 2019. 654 Seiten, 34,- Euro.

Umfassende Biographie mit Enthüllungscharakter: Gropius, der angeblich große Gründer des Bauhauses, war Ideendieb und Hochstapler. Spannend, humorvoll, manchmal sogar ein bisschen poetisch – ein Ton, der in deutscher Wissenschaft selten ist. Vermittelt im Jubiläumsjahr einen guten Einblick ins Thema. Warum sind bis heute so viele Gropius auf den Leim gegangen?

Domenico Dara: Der Postbote von Girifalco oder Eine kurze Geschichte über den Zufall.

Roman, Köln, Kiepenheuer & Witsch, 2019. 478 Seiten, 23,- Euro.

Für den italienischen Autor Domenico Dara lässt sich Glück herbeitricksen. Im Dorf Girifalco in Süditalien des Jahres 1969 verfügt der Briefträger über die besondere Gabe des Schriftenkopierens. Er öffnet die Briefe an die Dorfbewohner und schreibt ihnen gefälschte Antworten, um so dem Glück auf die Sprünge zu helfen. Amüsant und tiefgründig ("Lieben heißt, das Glück eines anderen über das eigene zu stellen."), ein wunderbares Leseerlebnis!

Norbert Scheuer: Winterbienen

Roman, München, C.H.Beck, 2019. 319 Seiten, 22,- Euro.

Tagebuchartige Aufzeichnungen aus der Zeit 1944/45. Bomber werfen ihre Last über der Eifel ab, der Protagonist Egidius Arimond ist Epileptiker, armeeuntauglich, Frauenliebhaber und heimlicher Fluchthelfer für Juden. Er versteckt die Flüchtlinge in seinen präparierten Bienenstöcken. Die Bienen als Gegenwelt zum nihilistischen Kriegsgeschehen. Bewegend!

Meredith May: Der Honigbus

Frankfurt/M., S. Fischer, 2019. 319 Seiten, 22,- Euro

Reale Geschichte einer amerikanischen Journalistin. Scheidungskind. Zieht als 5-Jährige mit ihrer Mutter zu den Großeltern. Die Mutter ist depressiv und kümmert sich nicht um sie, auch die Großmutter nicht, aber: Der Großvater ist Imker und führt Meredith in die Welt der Bienen ein, die ihr mit ihrem Verhalten und ihrer Organisation Halt geben und zu Vorbildern für ein gelingendes Leben werden.

Katja Oskamp: Marzahn Mon Amour. Geschichten einer Fußpflegerin

Berlin, Hanser, 2019. 143 Seiten, 16,- Euro.

Die Schriftstellerin Katja Oskamp hat keinen Erfolg mehr. Darum entscheidet sie sich, umzuschulen und eine Lehre zu machen. In der ehemals größten Plattenbausiedlung der DDR arbeitet sie jetzt in einem Kosmetikstudio. Als Fußpflegerin hört sie vielen Geschichten ihrer KundInnen zu und erzählt sie empathisch, warmherzig und voller Liebe nach. Ein Soziotop mit skurillen Erlebnissen und der Erkenntnis: Auch das scheinbar einfachste Leben hat tiefe Geheimnisse. Und: Wenn uns an den Füßen Gutes geschieht, öffnet sich unser Herz!

David Wagner: Der vergessliche Riese

Hamburg, Rowohlt, 2019. 269 Seiten, 22,- Euro.

Wie eine Liebe zum Glück führt, erzählt der Roman "Der vergessliche Riese" von David Wagner, ein autobiographischer Bericht über eine Vater-Sohn-Beziehung. Vor bald 20 Jahren entfremden sich die beiden, jetzt bringt sie die Demenz des Vaters wieder näher. Beharrliches Beschreiben von immer wiederkehrenden Sätzen des Vaters, poetisch stark, mit einem beklemmenden Schlusssatz. Für alle, die erfahren wollen, was es bedeutet, einen dementen nahen Angehörigen zu haben.

Isabel Bogdan: Laufen

Roman, Köln, Kiepenheuer & Witsch, 2019. 200 Seiten, 20,- Euro.

Der Lebensgefährte einer Frau ist depressiv und begeht Selbstmord. Sie bleibt zurück, mit Gefühlen von Schuld, Scham, Wut, Verzweiflung. Sie entdeckt das Laufen, joggt immer wieder um die Alster und bringt damit auch ihre Gedanken voran. Schreibstil angepasst, fast keine Punkte, lange, atemlose Sätze. Das allmähliche Wiedergewinnen von Lebensfreude. Berührend, humorvoll, hilfreich für alle, die in einer Krise sind.

Felix Leibrock: Nur im Dunkeln leuchten dir Sterne. Eine Erzählung für Suchende

München, Europa, 2019. 204 Seiten, 16,- Euro.

Ein Buch für Menschen in einer Lebenskrise. Der Fall eines Mannes, Mitte vierzig, der gleichzeitig den Job verliert und dessen Ehe zerbricht. Drei Fragen beschäftigen ihn fortan: Wie komme ich aus der Grübelfalle? Woran erkenne ich Menschen, die es ehrlich mit mir meinen? Gibt es einen Weg zum Glück? Lebenshilfe in Romanform. Öffnet den Blick für die Dinge hinter den Dingen und zeigt die heilende Kraft von Märchen.

Matthias Brandt: Blackbird

Roman, Köln, Kiepenheuer & Witsch, 2019. 278 Seiten, 22,- Euro.

Coming-of-Age-Roman. Ein 15-/16-Jähriger erlebt die beiden größten Themen des Lebens: Die erste (enttäuschende) Liebe und den Tod eines Freundes. Karge und zugleich eindringliche Sprache, berührendes Bild einer Jugend in den 1970er-Jahren mit Jugo-Wein, Schallplattenläden, dem Film Bilitis und viel (unfreiwilligem) Humor.

 

Ich habe damals aufgegeben und ihn allein gelassen. Weil ich nur damit beschäftigt war, dass ich mit seiner Krankheit nicht zurechtkam.

Matthias Brandt