Den israelischen Raketen-Alarm "Red Alert" kann man sich per App überall auf der Welt aufs Handy laden. Am Dienstagmorgen schrillte der Warnton praktisch ohne Pause: Hunderte Raketen wurden bis jetzt aus dem Gazastreifen auf Israel abgefeuert. Man kann sich nur ausmalen, wie es sich vor Ort anfühlen muss, diesem tödlichen Hagel ausgesetzt zu sein. Kindergärten, Schulen und Firmen blieben geschlossen. Bis ins dicht besiedelte Zentrum Israels rund um Tel Aviv lässt die Raketenabwehr "Iron Dome" immer wieder die Fensterscheiben beben.

Eskaliert die Gewalt zwischen Israel und den Palästinensern erneut?

Es war eine wütende, blinde Vergeltung: Israelische Streitkräfte hatten in der Nacht auf Dienstag Abu al-Ata, einen prominenten Anführer der Terror­organisation Palästinensischer Islamischer Dschihad (PIJ), in seinem Haus im Gazastreifen getötet. Auch al-Atas Frau starb bei dem gezielten Luftschlag. Abu al-Ata sei eine "tickende Bombe" gewesen, begründete ein Armeesprecher den Angriff. Er und seine Organisation, die im Gaza mit der herrschenden Hamas rivalisiert, seien für den Tod vieler Israelis sowie für die Raketenangriffe der vergangenen Wochen verantwortlich; sie hätten in unmittelbarer Zukunft einen Großangriff geplant.

Warum gerade jetzt?

Doch warum das alles gerade jetzt? Israel befindet sich nach den zweiten Wahlen in diesem Jahr weiterhin in einem lähmenden Patt. Ein dritter Wahlgang droht. Schnell kam daher das Gerücht auf, der um seine Macht fürchtende Dauer-Ministerpräsident Benjamin Netanjahu ohne Regierungsmehrheit habe nur aus niedrigen taktischen Beweggründen zuschlagen lassen, um seinem Widersacher Benny Gantz zu schaden und beispielsweise dessen Allianz mit den arabischen Parteien zu sprengen.

Raketeneinschlag an der Kreuzung zwischen Ashdod und Gan Yawne (12. November 2019).
Eine Verkehrskamera zeichnete am 12.11.2019 diesen Raketeneinschlag an der Kreuzung zwischen Ashdod und Gan Yawne auf. Der Ort liegt rund 35 Kilometer nördlich von Gaza, von wo die Rakete abgefeuert worden war.

Tatsächlich hat sich auch Gantz hinter die Aktion gestellt. Sicherheit ist eine Existenzfrage für das kleine Land. Bei ihr sind sich die Israelis tatsächlich ziemlich einig – quer über das gesamte politische Spektrum hinweg. Auch Sympathisanten der friedensbewegten linken Meretz-Partei geben zu, dass man es mit Gegnern zu tun hat, die in ihren langfristigen Zielen von einem radikalen Vernichtungswillen getrieben sind.

Keine Lösung in Sicht

Die Hamas hat sich in ihrer Charta die Vernichtung aller Juden auf die Fahnen geschrieben. Und es ist nicht nur Rhetorik, wenn der PIJ nun eine "grenzenlose" Reaktion gelobt. Wieder einmal droht Krieg; Frieden im "Heiligen Land" ist fern. Aber im Grunde kaum ferner als zuvor.

Immer wieder kann man in diesen Tagen in Israel hören: Für diesen Konflikt gibt es derzeit und auf absehbare Zeit keine Lösung. Man kann ihn nur – besser oder schlechter – verwalten.

HINTERGRUND

Sonntagsblatt-Redakteur Markus Springer war bis vor wenigen Tagen auf einer Recherchereise in Israel und den palästinensischen Gebieten. Während seines Aufenthalts dort wurde nur einmal Raketenalarm ausgelöst - während des Abendessens bei einer befreundeten Familie zum Schabbat-Beginn.