Am 11. November vor 100 Jahren endete der Erste Weltkrieg. 70 Millionen Soldaten aus 40 Ländern mobilisierte der erste mit Maschinengewehren, Flammenwerfern, U-Booten, Flugzeugen und Giftgas geführte Krieg. Die blutige Ernte: Zehn Millionen Männer kamen ums Leben, 20 Millionen wurden verwundet - die zivilen Opfer nicht mitgezählt. Jeder siebte Soldat aus Bayern, der 1914 bis 1918 Kriegsdienst leistete, fiel oder wird bis heute vermisst. Insgesamt waren es 200.000 Männer. "Eine ganze Generation blieb im Feld oder kehrte verwundet, traumatisiert, als Invalide in die Heimat zwischen Spessart und Karwendel zurück", teilte der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge mit.

Stumme Mahner an das Elend der Weltkriege sind nach Angaben des bayerischen Landesverbands bis heute die Soldatenfriedhöfe auf der ganzen Welt. Dass es dabei nicht um Zahlen geht, sondern um jedes einzelne Schicksal, darauf verweist der Landesvorsitzende Wilhelm Wenning im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Im Fokus des Gedenkens steht 2018 Bulgarien.

epd: Herr Wenning, auf Ihre Initiative hin steht dieses Jahr Bulgarien im Zentrum des Gedenkens. Es gab Kranzniederlegungen, selbst der deutsche Botschafter in Sofia war überrascht und dankbar für diese Wahl. Warum gerade Bulgarien?

Wilhelm Wenning: Der Erste Weltkrieg ist im kollektiven Gedächtnis der Deutschen meist mit den Auseinandersetzungen zwischen Frankreich und Deutschland verbunden, mit den bekannten Gebieten, in denen heftige Schlachten gefochten wurden und Zigtausende Soldaten ums Leben gekommen sind. Aber es gab auch eine Menge Fronten, die nicht im allgemeinen Bewusstsein sind. Wir sollten uns auch diese vergessenen Fronten, an denen auch viele bayerische Soldaten ums Leben gekommen sind, wenn auch nicht in der großen Anzahl, ins Gedächtnis zurückrufen. Bulgarien war nahe liegend, weil es sowohl im Ersten als auch im Zweiten Weltkrieg erhebliche Menschenopfer gebracht hat, wie man auf den Soldatenfriedhöfen sehen kann.

Bulgarien ist heute zwar EU-Mitglied, die Abhängigkeiten von Russland sind trotzdem immer noch sehr stark. Gab es auch politische Gründe, Bulgarien ins Zentrum der Erinnerung zu stellen?

Wenning: Nein. Die Bulgaren waren sowohl im Ersten als auch im Zweiten Weltkrieg mit uns verbündet. Da ist von Haus aus eine gewisse Nähe vorhanden, die wir aber nicht im Gegensatz zu Ländern sehen, die zweimal gegen uns gekämpft haben.

Wilhelm Wenning, bayerischer Landesvorsitzender des Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V.
Wilhelm Wenning, bayerischer Landesvorsitzender des Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V.

Die Generation der Überlebenden aus beiden Weltkriegen ist so gut wie ausgestorben. Wie wollen Sie künftig die Erinnerung an die Kriegstoten wachhalten?

Wenning: Soldatenfriedhöfe sind eigentlich eine Mahnung an die Lebenden, es ist ein Erinnerungsort an die jungen Menschen, die im Alter von 18 bis 22 Jahren ihr Leben durch Krieg und Gewalt gelassen haben, ein Erinnerungsort auch für die Verwandten, die dort wenigstens etwas Grabähnliches finden können. Das ist für uns alle ganz wichtig.

Sie sind der erste Landesvorsitzende, der nach 1945 geboren wurde. Welche Bedeutung haben Kriegsgräber für Sie persönlich?

Wenning: Ich habe es in meiner eigenen Familie erlebt, welche Probleme daraus entstehen können, nicht zu wissen, wo der Großvater geblieben ist, der in den Krieg gezogen ist und nicht wieder zurückkehrte. Wahrscheinlich ist er am 24. Januar 1945 in Ostpreußen ums Leben gekommen, mehr wissen wir nicht. Es gibt keinen Grabstein, keinen Ort der Trauer. Aber genau solche Orte müssen wir den Angehörigen geben, wenn es möglich ist.

Kann man Jugendlichen das Totengedenken heute noch vermitteln, wenn die Urgroßväter, die in den Weltkriegen gefallen sind, nicht mehr aktiv im Gedächtnis sind?

Wenning: Es wird natürlich immer schwieriger. Auf der anderen Seite habe ich es bei unseren Besuchen von Gräbern in Bulgarien erlebt, dass eine Kerze auf einem Grabstein stand und ein Zettel beigefügt war, den vier Kinder einer Schwester hingelegt haben, als sie das Grab des Onkels besuchten. Das Bedürfnis, dass man solche Gräber erhält, besteht ganz offensichtlich weiter. Es kann aber nicht nur um den baulichen Erhalt und die Pflege der Gräber gehen, sondern wir müssen der jungen Generation auch erklären, welche Probleme es mit sich gebracht hat, dass Hunderttausende, ja Millionen Menschen in diesen Kriegen ums Leben gekommen sind. Deswegen ist die Jugendarbeit ein ganz wichtiger Bestandteil unserer Arbeit.

Wie sieht die Jugendarbeit des Volksbunds im Einzelnen aus?

Wenning: Ein schönes Beispiel ist das Projekt einer Berufsschule in Überlingen, die seit vielen Jahren den Kontakt zu Bulgarien pflegt. Bei ihrem Besuch entdeckten die Schüler in Roshen, das am Rand des Pirin-Gebirges liegt, das Grab von vier deutschen Fliegersoldaten, die im Zweiten Weltkrieg bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kamen. Die Jugendlichen haben das Grab, das mitten im Wald liegt, gepflegt und auch den Weg dorthin als Friedenspfad gestaltet. Im nächsten Jahr wollen die Schüler erneut kommen, um Tafeln anzubringen und den Weg vom Gestrüpp zu befreien.