Der Fleischkonsum in Deutschland ist ungebrochen, eine Trendwende kaum in Sicht. Der Grund dafür sieht der Regensburger Kulturwissenschaftler Gunther Hirschfelder, der auch zu "Fleisch als Kulturgut" forscht, an der kulturellen Wertigkeit des Fleisches im Ernährungssystem von Gesellschaften. "Bis zum späten 19. Jahrhundert stand Fleisch für Wohlstand und gutes Leben. Seit den Wirtschaftswunderjahren wird Fleisch auf hohem Niveau konsumiert", sagte er im Gespräch mit sonntagsblatt.de. Auch die Sozialisation spiele eine tragende Rolle, wenn der Hunger nach Fleisch fortbestehe. "Wenn ich über 60 bin und mit der Frikadelle aufgewachsen, ist der Abschied davon ziemlich schwierig."

Bisher verzichten vor allem Akademiker auf Fleischkonsum

Angesichts von Umweltzerstörung, Fehlernährung und Tierleid sei eine Trendwende erforderlich, aber bisher lediglich in urbanen und akademischen Kreisen zu beobachten. Der Kulturwissenschaftler konstatiert die Notwendigkeit eines "langfristigen Paradigmenwechsel" im Ernährungssystem, das sei das Ergebnis eines dreijährigen universitären Forschungsprojektes, an dem er federführend mitwirkte. Mit Appellen an die Verbraucher sei es nicht mehr getan, sagt er. "Die ewigen Imperative, die wir haben, reichen nicht." Der Staat müsse die Rahmenbedingungen für einen verminderten Konsum schaffen.

Emotionalisierung der Debatte um Fleisch

Hirschfelder beobachtet zudem eine zunehmende Emotionalisierung in der Debatte. "Das Fleisch bietet Orientierung in einer überkomplexen Welt. Wer da auf Tierhaltung und Fleisch schimpft, hat quasi immer Recht." Diese Art aufgeregter Debatten landeten schlussendlich immer bei der Frage: "Oder bist du etwa für Tierleid?!", zu einer Versachlichung trügen sie nicht bei.

Fleisch sei im frühen 21. Jahrhundert zu einer Metapher für Naturschutz und eine gerechtere Welt geworden, und die Chiffre dafür sei Veganismus und Fleischverzicht, sagt Hirschfelder. Das Konsumverhalten ändere sich dadurch aber nicht. Der Fleischverbrauch in Deutschland sei in den vergangenen zwei Jahren nur unmerklich zurückgegangen, von knapp über 60 auf knapp unter 58 Kilogramm pro Kopf und Jahr. "Wir reden als Gesellschaft kritisch über das Fleisch, essen es aber trotzdem."