Die Frau mit ihren zwei Kindern ist völlig überfordert: Überall Schlangen von Menschen, die Kinder sind von der langen Anreise aus Eritrea überdreht. Nach Monaten sehen die Kinder endlich ihren Vater wieder, der es nach einem langen Asylverfahren geschafft hat, seine Familie nachzuholen. Ungeduldig wartet er am Münchner Flughafen mit einem Blumenstrauß auf seine Familie. Für den Flughafenseelsorger Stefan Fratzscher war diese Familienzusammenführung eines der schönsten Erlebnisse in den vergangen Jahren. Er werde nie vergessen, wie er die Familie damals durch das Terminal begleitet hat, erzählt er.
Das Aufgabenfeld als Flughafenseelsorger ist vielfältig - und genau das schätzt der evangelische Theologe an seinem "Traumberuf". Mit Asylsuchenden hat er normalerweise nur in der Transitzone zu tun. Dort werden Menschen kurzfristig untergebracht, die mit dem Flugzeug aus ihrer Heimat geflohen sind und die darauf warten, wie es nun in Deutschland mit ihnen weitergeht. Meistens geht es für den Pfarrer um praktische Hilfe: Kleidung beschaffen, eine SIM-Karte besorgen, einen Rechtsanwalt kontaktieren.
Betreuung von Reisenden und Flughafen-Mitarbeitern
Selten gibt es einen intensiveren Kontakt, da die Flughafenunterkünfte nur eine Durchgangstation sind, sagt Fratzscher. Doch es gibt Ausnahmen: Ein Iraner, der zum Christentum konvertierte, sollte gemäß den Dublin-Regelungen nach Bulgarien abgeschoben werden. Das Verfahren zog sich indes über mehrere Wochen. Schließlich feierten Fratzscher und der Mann gemeinsam Weihnachten. "Ich finde es unverständlich wie Menschen in Europa hin- und hergeschoben werden", sagt Fratzscher. An solchen Asylverfahren könne man regelrecht verzweifeln.
Ein weiteres Aufgabengebiet ist die seelsorgerische Beratung für die 35.000 Mitarbeitenden des Münchner Flughafens. Im Auftrag der Flughafen München GmbH (FMG) betreiben die Kirchlichen Dienste die Sozialberatungsstelle OASE. Dort geht es um berufliche wie auch private Probleme: Mobbing, Schulden, Sucht, Streitigkeiten mit der Familie, Unzufriedenheit mit dem Job. Seit 1992, als der Münchner Flughafen an seinem jetzigen Standort eröffnet wurde, ist die Zusammenarbeit zwischen Flughafenbetreiber und den Kirchlichen Diensten sehr eng.
Der Vorsitzende der Geschäftsführung, Michael Kerkloh, empfindet das kirchliche Angebot als "enorm wichtig" für die Mitarbeitenden. "Bei so vielen Menschen ist klar, dass persönliche Situationen auftreten können, in denen seelische Begleitung einen maßgeblichen Bestandteil des Hilfsangebot darstellt", sagt er.
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Obdachlosenhilfe ab Herbst am Flughafen
München ist in dieser Hinsicht national eine Ausnahme. Während an den anderen deutschen Flughäfen die Passagier-Seelsorge im Mittelpunkt steht, sind hier die Aufgaben zwischen evangelischen und katholischen Vertretern aufgeteilt: Die katholischen Kollegen übernehmen den Sozialdienst für Passagiere und Rückführungen. Die Sozialberatung für Mitarbeiter, Betreuung von Asylsuchenden und - ab Herbst mit einem neuen Projekt - die Obdachlosenhilfe fallen in den evangelischen Zuständigkeitsbereich.
Trotzdem springe man natürlich füreinander ein und weise niemanden ab, der um Hilfe bittet, sagt Fratzscher. Eines Tages stand beispielsweise ein Berufspendler vor der Tür des Pfarrers. Der Mann flog jedes Wochenende zu seiner Familie nach Hamburg. Das viele Reisen überforderte ihn. Plötzlich war er sich mit nichts mehr sicher: War es der richtige Job? Musste er fürchten, seine Familie zu verlieren, weil er nie da war? "Er hatte es nicht geplant, zu mir zu kommen", erzählt Fratzscher. "Es war eine Art Kurzschlusshandlung auf der Suche nach Rat."
Gottesdienste wenig gefragt
Jeden Sonntag gibt es einen evangelischen Gottesdienst. Die Christophorus-Kapelle, abseits vom Trubel auf der Ebene 4 gelegen, ist ein schlichter weißer Raum mit schwarzen Stühlen, einem Altar aus Glas und Metall sowie einem Kreuz, das metallisch im Licht aus dem Dachfenster schimmert. Statt per Glockengeläut werden die Menschen per Durchsage zum Gottesdienst eingeladen. Dennoch kommen wenig. "Dafür ist einfach nicht die Zeit, wenn man auf Reisen ist", sagt Fratzscher. Auch die Mitarbeitenden kommen selten.
"Das Format Gottesdienst wird hier offenbar nicht gesucht", sagt Fratzscher. Wohl aber die Ruhe abseits vom Flughafen-Trubel: Muslimische Mitarbeiter finden hier Gebetsteppiche für das Mittagsgebet. Immer wieder kommen Reisende vorbei, um einen Moment zu verweilen. Auch Michael Kerkloh: "Die Christophorus-Kapelle hat für mich persönlich eine große Bedeutung." Er schaue an diesem "ganz besonderen Ort zum Auftanken" gerne vorbei, sagt der Flughafen-Geschäftsführer.
Dossier
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Hintergrund: Flughafenseelsorge
Seit der Eröffnung des Münchner Flughafens im Jahr 1992 besteht eine enge Kooperation zwischen den Kirchlichen Diensten und dem Flughafenbetreiber. Das Flughafenpfarramt ist aktuell mit dem evangelischen Pfarrer Stefan Fratzscher und seinem katholischen Kollegen Franz Kohlhuber besetzt. Ihre Aufgabenbereiche sind klar aufgeteilt: Der katholische Seelsorger betreut die Passagiere und ist zuständig für Asyl-Rückführungen. Pfarrer Fratzscher betreut die Mitarbeitenden des Flughafenkonzerns, Asylbewerber und Obdachlose.
Innerhalb des deutschsprachigen Raums organisiert und vernetzt sich die Flughafenseelsorge in der Konferenz Evangelische Flughafenseelsorge (KEF), Konferenz der katholischen Flughafenseelsorger und in der Ökumenischen Konferenz der Flughafenseelsorge (OEKOF). Die nationalen Organisationen tauschen ihre Erfahrungen im weltweiten Verbund der International Association of Civil Aviation Chaplaincies (IACAC) aus, der 1967 gegründet wurde. Einmal im Jahr treffen sich seine Mitglieder. Im September findet die 50. Konferenz der IACAC in Stockholm statt.
Die erste Flughafenkapelle wurde 1951 in Boston (USA) von Richard Cardinal Cushing gegründet. In Deutschland etablierte sich in den 1970er Jahren das erste Flughafenpfarramt in Frankfurt am Main.
Der Franz Josef Strauß Flughafen in München ist gemessen an der Zahl der Reisenden der zweitgrößte Flughafen in Deutschland nach Frankfurt am Main. 2016 hielten sich dort rund 42 Millionen Passagiere auf, täglich sind es rund 120.000. Insgesamt arbeiten 35.000 Menschen auf dem Airport.