An seinem 60. Geburtstag am 30. März wird Heinrich Bedford-Strohm als bayerischer Landesbischof und oberster Repräsentant der deutschen Protestanten eine ganz neue Erfahrung machen. Statt einer großen offiziellen Gratulantenschar in seinen verschiedenen Büros in München oder Hannover erwartet der Bischof "angesichts der Corona-Krise einen sehr stillen Geburtstag".
Diese erzwungene Ruhepause werde er aber sehr genießen, denn gewöhnlich halten den Theologen, der aus einer bayerischen Pfarrersfamilie stammt, gleich zwei Terminkalender auf Trab. Als Landesbischof steht er an der Spitze der knapp 2,4 Millionen evangelischen Christinnen und Christen in Bayern, zugleich ist er als Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) die Führungsfigur der 23 Millionen Protestanten in der gesamten Bundesrepublik.
Diese Spitzenämter füllt der weltzugewandte Lutheraner mit persönlichem Engagement, Überzeugungskraft und offensichtlicher Freude aus. Dabei ist ihm seine Prominenz, die ihn immer wieder in die Nähe der großen Politik führt, und seine mediale Präsenz in Talkshows und vor Kameras hauptsächlich ein probates Mittel zum Zweck und die praktische Umsetzung seines theologischen Programms.
Bereits als Theologieprofessor in Bamberg war Bedford-Strohm ein Verfechter der "Öffentlichen Theologie" und damit einer Kirche, die nicht hinter geschlossenen Mauern agiert, sondern in die Welt hineinwirkt und in elementaren ethischen Fragen klare Kante in und für die Gesellschaft zeigt:
"Christsein heißt immer verantwortliches Handeln für die Welt als ganze", ist er überzeugt.
Schon seine Doktorarbeit beim späteren EKD-Ratsvorsitzenden Wolfgang Huber verfasste Bedford-Strohm, der in Erlangen, Heidelberg und Berkeley (USA) Theologie studiert hatte, zum Thema "Vorrang für die Armen. Auf dem Weg zu einer theologischen Theorie der Gerechtigkeit".
Als Bischof erhebt Heinrich Bedford-Strohm deshalb seine Stimme für den Klimaschutz, steht an der Seite von "Fridays-for-Future", formuliert eine klare Position zum aktuellen Sterbehilfeurteil, das seiner Überzeugung nach keinesfalls die unantastbare Würde des Menschen gefährden darf, und setzt sich für Menschen am Rand der Gesellschaft und in Notlagen ein - insbesondere für Geflüchtete. Weil nach christlichem Gebot niemand im Mittelmeer ertrinken dürfe, hat sich Bedford-Strohm für ein evangelisches Seenotrettungsschiff starkgemacht und sich dabei auch nicht von Anfeindungen und Morddrohungen im Netz beirren lassen.
Um mit seinen Anliegen Gehör zu finden, nutzt Bedford-Strohm alle Kanäle - die Kanzel und den Gottesdienst, Stellungnahmen und Interviews und auch die sozialen Medien.
Der Bischof ist aktiv auf Twitter und Facebook unterwegs und bemüht sich, die vielen Anfragen möglichst auch selbst zu beantworten. Deutlich benennt er aber auch die Schattenseiten dieser Kommunikationsformen. Denn allzu oft gehe es nicht mehr "um den Austausch von Argumenten auf der Basis von Fakten, sondern um das Schüren von Stimmungen", um Hassbotschaften, Rassismus und vor allem Rechtsextremismus.
Gegen diese Strömungen geht der Theologe in seinen Predigten an, aber auch in eher ungewöhnlichen Aktionen: So beteiligte er sich beispielsweise an der Initiative "Rote Karte gegen Rechts" des Bayerischen Fußball-Verbands. Auch dieses Terrain ist dem Theologen nicht fremd, denn in seinen beruflichen Stationen in Oberfranken, etwa als Pfarrer in Coburg, war Bedford-Strohm aktiver Fußballer und noch heute macht er als konsequenter Verteidiger bei Benefiz-Spielen mit.
Wie auf dem Fußballplatz sucht Bedford-Strohm, wo immer es geht, den Kontakt zu den Menschen - ohne Barrieren, Berührungsängste und großem Amtsgetöse. Zu Terminen wie seinen traditionellen Besuchen einer sozialen Einrichtung an Weihnachten kommt Bedford-Strohm nicht in standesgemäßer Dienstlimousine plus Chauffeur, sondern fährt selbst mit einem unscheinbaren, dafür umweltschonenden Kleinwagen vor.
Mit obdachlosen Menschen unterhält er sich genauso interessiert und zugewandt wie mit kirchlichen Würdenträgern oder Politikern.
Seine Weihnachtspredigt vor jungen Strafgefangenen in einem Jugendgefängnis fällt für die Zuhörer genauso engagiert und intensiv aus wie eine große Ansprache bei einem Staatsakt.
Und regelmäßig ist der Bischof auf der Straße zu sehen - auf dem Weg vom Münchner Landeskirchenamt zu einem Coffeeshop im nahe gelegenen Hauptbahnhof oder auf dem Fahrrad vor einer Ampel. Dann ist Bedford-Strohm vielleicht gerade auf dem Weg zum Münchner Kardinal Reinhard Marx. Mit dem katholischen Erzbischof von München und Freising verbindet ihn nicht nur die ökumenische Kooperation der Kirchen, die ihm ein Herzensanliegen ist, sondern auch eine persönliche Freundschaft.
Das feste Fundament für Bedford-Strohm ist, so sagt er immer wieder, sein festgefügter Glaube, der theologisch vor allem auf der "Rechtfertigungslehre" Martin Luthers gründet. Ein persönliches Leitwort ist für ihn die Passage aus dem Korintherbrief: "Der Herr ist Geist, und wo der Geist des Herrn ist, ist Freiheit", wie Bedford-Strohm vor seiner Wahl zum bayerischen Landesbischof 2011 bekannte.
Eine besondere Kraftquelle ist dem Bischof aber die Familie - seine drei Söhne und seine Frau Deborah, eine Psychotherapeutin, die aus den USA stammt und das "Bedford" zu dem jetzigen Doppelnamen des Bischofs beigesteuert hat. Sie begleitet Heinrich Bedford-Strohm häufig zu kirchlichen Veranstaltungen, wie etwa Synoden - mit eigenen Standpunkten und einem Blick fürs Wesentliche. Für seine Frau und die Söhne plant Bedford-Strohm regelmäßig "Zeitinseln" in seinen Terminkalender ein.
Zusammen mit seinem Sohn Jonas hat er sogar ein Buch verfasst: Unter dem Titel "Wer's glaubt, wird selig", führen Vater und Sohn, damals Theologiestudent, einen Dialog über Religion, Kirche, Spiritualität und den Glücksbegriff.
Ein besonderes Anliegen ist dem Bischof der Kontakt zur jungen Generation, die er in der Kirche wieder beheimaten will. Deshalb trifft er sich auch regelmäßig mit den "Jugenddelegierten" in der bayerischen Landesynode zu einem Frühstück.
In Zukunft hat der Bischof vielleicht wieder mehr Zeit für seine Hobbies, wie etwa Fußball und das Geigenspiel, und vor allem für seine Familie und den ersten Enkel, von dem er mit großer Freude erzählt. Denn im nächsten Jahr steht die Wahl des EKD-Ratsvorsitzenden an. Bedford-Strohm lässt bisher offen, ob er dem Beispiel seines Ökumenepartners Marx folgt, der nicht mehr für das Amt des Vorsitzenden der katholischen Deutschen Bischofskonferenz kandidiert hat. Dann könnte es sein, dass Heinrich Bedford-Strohm nur noch einen Terminkalender hat.