Helena Kaiser atmet tief aus. Es ist kein Seufzer, eher ein erleichtertes Innehalten. "Ich hatte wirklich großes Glück", sagt die junge Frau, die in Wirklichkeit anders heißt. Noch immer wirkt vieles von dem, was vor knapp zwei Jahren geschehen ist, surreal auf die heute 29-Jährige.
Der Morgen des 21. Februar 2017 ist grau und nieselregennass. Helena Kaiser hat einen Termin beim Verwaltungsgericht Würzburg. Vor Verhandlungsbeginn wieselt sie unruhig vom einen Ende des Gangs zum anderen. Die junge Frau ist Ärztin. Und Zeitsoldatin, hatte sich für 17 Jahre verpflichtet. Doch das kann sie nicht mehr, sagt sie. Sie will weg von der Bundeswehr.
Zwei Jahre später ist für Kaiser alles anders. "Es geht mir richtig gut", sagt sie. Heute arbeitet sie als Klinikärztin in Süddeutschland. An jenem Februarmorgen hatte der Richter direkt am Tag ihrer Verhandlung eine Entscheidung gefällt und auch verkündet: Helena Kaiser wird als Kriegsdienstverweigerin anerkannt.
Die Kriegsdienstverweigerin weint vor Erleichterung
Als seine Worte fallen, bricht ein lautes Schluchzen aus der Soldatin heraus - sie weint vor Erleichterung. Die Bundesrepublik Deutschland legt keine Beschwerde gegen das Urteil ein, Ende März ist es rechtskräftig.
Helena Kaiser ist nicht die Einzige: Im Jahr 2017 sind beim Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben (BAFzA) 174 Anträge von Soldaten und Reservisten auf Kriegsdienstverweigerung eingegangen, 2016 waren es 214, 2015 noch 244.
Aus dem Bundesverteidigungsministerium gibt es ganz ähnliche Zahlen - inklusive der Zusatzinformationen, in wie vielen Fällen die Anträge auch erfolgreich waren. Der prozentuale Anteil sinkt: Wurden 2012 mehr als 80 Prozent der 429 Kriegsdienstverweigerungs-Anträge von Zeitsoldaten anerkannt, seien es 2018 noch gerade 42 Prozent gewesen. Die größte Gruppe der Kriegsdienstverweigerer machten die Soldatinnen und Soldaten aus der Gruppe der Gesundheitsberufe wie Sanitäter und Ärzte aus, erläutert eine Sprecherin des Bundesverteidigungsministeriums.
Die Bundeswehr bezahlte das Medizinstudium
Eine von ihnen war Helena Kaiser. Sie, deren Vater Berufssoldat war. Die der deutschen Armee bei ihrer Verpflichtung ziemlich unvoreingenommen gegenüberstand - und inzwischen vieles ganz anders sieht. Im Sommer 2009 absolvierte sie ihre dreimonatige Grundausbildung, die Bundeswehr schickte sie nach Würzburg zum Medizinstudium. "Parallel dazu hatten wir immer wieder einzelne Veranstaltungen bei der Bundeswehr", erzählt sie. Sie musste Sportabzeichen machen, Offizierslehrgänge besuchen und auf den Schießstand. 2013 starb ihr Vater, nicht im Einsatz, doch: "Ich bin zum ersten Mal wirklich mit dem Tod konfrontiert worden."
Das habe viel in ihr ausgelöst, erzählt sie. Zunehmend habe sie auch den Dienst an der Waffe infrage gestellt. "In den Anwerbegesprächen wurde immer gesagt: Naja, Sie müssen ja eigentlich keinen Dienst an der Waffe tun - nur, wenn sie sich selbst oder ihre Patienten im Einsatz schützen müssen", erzählt die junge Frau. Nur hatte das wenig mit dem zu tun, was erfahrene Ärzte ihr aus Einsätzen berichteten. Rückblickend sagt sie: "Ich finde es ungeheuerlich, dass sich jemand mit gerade mal 18 Jahren für 17 Jahre verpflichtet." Diesen Zeitraum könne kein junger Mensch wirklich überblicken, seine Entwicklung nicht vorhersehen.
Rund 59.000 Euro muss Helena Kaiser der Bundeswehr nach ihrem Ausscheiden für die Ausbildungskosten zahlen. "Ich habe damit gerechnet", sagt sie. Trotzdem startete sie verschuldet ins Berufsleben: "Aber das war und ist mir meine Freiheit wirklich wert."
"Man kann nicht kündigen"
Fälle wie ihren kennt Wolfgang Buff zuhauf. Er ist Referent für Friedensbildung der beiden evangelischen Landeskirchen in Hessen und Vorsitzender der bundesweiten Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kriegsdienstverweigerung und Frieden (EAK). Der 62-Jährige wirft der Bundeswehr unlauteres Verhalten vor, wenn sie 18-Jährige für 17 Jahre Dienstzeit verpflichte: "Die Leute, die sich darauf einlassen, sind nicht dumm. Die Bundeswehr argumentiert eher 'knapp an der Wahrheit vorbei'." Eine Karriere bei der Armee werde als ein Job wie jeder andere verkauft: "Aber das ist er nicht. Man kann nämlich nicht kündigen."
In Anwerbegesprächen würden Dinge wie Auslandseinsätze entweder nur am Rande oder auch gar nicht erwähnt, kritisiert Buff. Dem widerspricht das Bundesverteidigungsministerium: Man gehe "transparent und offen mit den Themen Einsätze, Verwundung und auch Tod" bei Anwerbungen um, erklärt eine Sprecherin.
Helena Kaiser sagt: "Es hieß am Anfang immer: Deine Waffe musst Du nie einsetzen. Bis mir erfahrene Bundeswehr-Ärzte gegen Ende des Studiums sagten: Klar, Du gehst ja auch mit auf Patrouille." Nicht einmal ihr Vater habe offen mit ihr darüber gesprochen, was sie erwarte, als sie sich verpflichtete.
Ende Februar, wenn sich ihre Gerichtsentscheidung zum zweiten Mal jährt, wird Helena Kaiser wieder besonders an ihre Zeit bei der Bundeswehr denken. Und an eine Unterschrift, die ihr Leben verändert hat.