Die bundesweite Selbstvertretung wohnungsloser Menschen e.V. (SwM) ist vom 6. bis 12. August in der Diakonie Herzogsägmühle zu Gast. "Wir wollen bei dem Treffen unsere Positionspapiere noch bekannter machen und in Kommunal- und Bundespolitik Türen für unsere Themen öffnen", sagte Dirk Dymarski von der SwM im epd-Gespräch.
Etwa 120 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus dem deutschsprachigen Raum werden zu der sechstägigen Veranstaltung im oberbayerischen Peiting (Landkreis Weilheim-Schongau) erwartet.
Fachtagung der Selbstvertretung wohnungsloser Menschen
Im Fokus der diesjährigen Tagung steht laut SwM-Sprecher neben Themen wie Mobilität, Gesundheitsversorgung und Frauenobdachlosigkeit der "Nationale Aktionsplan", mit dem das Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB) die Obdachlosigkeit in Deutschland bis 2030 überwinden will.
Angesichts der aktuellen Situation auf dem Wohnungsmarkt halte er diesen Zeitplan für "zu ambitioniert", sagte Dirk Dymarski, der selbst seit 20 Jahren von Wohnungslosigkeit betroffen ist und derzeit in einer Übergangswohnung der Diakonie Freistatt (Landkreis Diepholz) in Niedersachsen lebt.
Das Bundestreffen in Herzogsägmühle sei jedoch eine gute Gelegenheit, "die Agenda 2030 auf kommunaler Ebene zu debattieren".
Michael Schmid, stellvertretender Bereichsleiter der Wohnungslosenhilfe in Herzogsägmühle, bezeichnete Partizipation als wichtiges Ziel des bundesweiten Treffens, das von der SwM organisiert und von der Aktion Mensch finanziert wird. Neben dem persönlichen Austausch gehe es bei der Fachtagung mit Vertretern aus Politik und Verbänden vor allem darum, "dass die Interessen der Wohnungslosen gehört und Veränderungen angestoßen werden".
Treffen in Herzogsägmühle
Das trifft beim Bundesbauministerium, das einen Referenten zum Wohnungslosentreffen nach Oberbayern schickt, auf offene Ohren: Man wolle in Herzogsägmühle den Austausch zu den Eckpunkten des Nationalen Aktionsplans vertiefen, in einem Workshop gemeinsam mit Wohnungslosen konkrete Maßnahmen erarbeiten und darüber diskutieren, "wie eine Beteiligung bei Maßnahmen anderer Akteure auf Augenhöhe realisiert werden kann".
Bereits im Juni 2023 habe man in Berlin eine Zukunftskonferenz mit 70 Teilnehmenden abgehalten, teilte ein Ministeriumssprecher auf epd-Anfrage mit. Darunter seien auch sieben von Wohnungslosigkeit betroffene Personen gewesen. Deren Hinweise "fließen derzeit in die Textentwürfe zum Nationalen Aktionsplan ein", erklärte der Sprecher.
Recht auf Wohnen
Sozialarbeiter Schmid betonte gegenüber dem epd, dass das Recht auf Wohnen in der Bayerischen Verfassung garantiert sei. Dennoch agiere die Politik beim Thema Wohnungslosigkeit bislang "überschaubar". Neben konkreten Projekten für Wohnungslose wie dem Konzept "Housing first" sei vor allem mehr präventive Arbeit nötig.
"Die Fachstellen zur Vermeidung von Wohnungslosigkeit müssen eine auskömmliche Regelfinanzierung erhalten, statt befristeter Etats", forderte Schmid. Denn bevor Menschen auf der Straße und dann in der stationären Wohnungslosenhilfe landeten, lebten sie oft schon jahrelang in prekären Situationen.
"Jeder Euro für Prävention ist gut investiert, denn wer auf eigenen Beinen steht, kostet die Gesellschaft nichts", sagte Schmid.
Wohnungslosigkeit in Deutschland
372.000 wohnungslose Menschen leben in Deutschland aktuell in Einrichtungen der Kommunen und der Freien Wohlfahrtspflege. Diese Zahl hat das Statistische Bundesamt Anfang August bekannt gegeben. Damit hat sich die Zahl der Wohnungslosen gegenüber dem Vorjahr mehr als verdoppelt (2022: 178.000).
Dieser Anstieg ergebe sich zum Teil aus einer verbesserten Datenlage sowie aus dem Zuzug von geflüchteten Ukrainern und Ukrainerinnen, teilt die Diakonie Deutschland mit. 35 Prozent aller untergebrachten wohnungslosen Personen kämen aus der Ukraine.
Erfassung von Wohnungslosigkeit
Als wohnungslos gelten laut Wohnungslosenberichterstattungsgesetz vom 1. April 2020 Menschen, die auf der Straße leben, genauso wie solche, die in einer Notunterkunft, einem Wohnheim, ohne Mietvertrag bei Freunden oder Verwandten, einer Frauenschutzeinrichtung oder als Selbstzahler in einem günstigen Beherbergungsbetrieb wohnen. Auch anerkannte Geflüchtete in Asylunterkünften gelten als wohnungslos.
Obdachlose in Europa
Nach Angaben des Europäischen Parlaments schlafen europaweit jede Nacht rund 700.000 Menschen auf der Straße. Somit sei die Zahl der Obdachlosen in den letzten zehn Jahren um rund 70 Prozent gestiegen.
Vor zwei Jahren gründeten die EU-Staaten deshalb eine "Europäische Plattform zur Bekämpfung von Wohnungslosigkeit" (EPOCH). In der "Deklaration von Lissabon" vom Juni 2021 setzten sich die Mitglieder dabei folgende Ziele: Kein Mensch soll wegen fehlender angemessener Notunterkünfte auf der Straße schlafen müssen, niemand soll ohne Aussicht auf ein Wohnangebot aus dem Gefängnis, dem Krankenhaus oder einem Heim entlassen werden.
Zudem sollen Zwangsräumungen vermieden und niemand soll bei der Wohnungssuche als Obdachloser diskriminiert werden.
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