Selbst wer bis zum Hals in Schulden steckt, kommt nicht zur Räson. Spielsucht ist laut Karl W. (Namen geändert) eine teuflische Sache, gegen die Vernunft nichts ausrichten kann: "Ich wünsche niemandem, in diesem Kreislauf zu stecken." Der 53-Jährige aus dem Landkreis Main-Spessart steckte selbst 30 Jahre lang in diesem Sumpf. Heute ist er im "Betroffenenbeirat" der Landesstelle Glücksspielsucht Bayern für mehr Spielerschutz aktiv. Vor allem Glücksspielwerbung würde Karl W. am liebsten komplett verbieten lassen.

Nie wieder möchte Karl W. solche seelischen Qualen erleben, die er bis zum endgültigen Spiel-Stopp im August 2016 erlitten hatte. Ständig musste er seiner Lebensgefährtin gegenüber lügen. Musste Gründe für sein finanzielles Desaster erfinden. Auch materiell hat ihn die Spielsucht enorm viel gekostet:

"Ich löste meinen Bausparvertrag und meine Lebensversicherung auf."

Zum Verhängnis wurde für ihn, dass er nach der Scheidung von seiner Frau über einer Gaststätte wohnte, in der er neben seinem regulären Job aushalf: "Da standen drei Automaten, ich hatte den Schlüssel und damit jederzeit Zugang."

Man könne einfach nicht aufhören, das sei das Fatale, sagt W.: "Von alleine schafft es fast keiner raus." Auch W. gelang dies nur durch eine 16-wöchige stationäre Therapie. Gut ein Jahr nach seiner Entlassung im Februar 2017 trat er dem neu gegründeten "Betroffenenbeirat Bayern - Stimme der SpielerInnen" der Landesstelle Glücksspielsucht Bayern bei. Dem gehören zwölf ehemalige Betroffene an. Ein solches Gremium ist deutschlandweit einzigartig. Am 27. Juni stellen die Mitglieder ihre Arbeit beim zehnten Bayerischen Fachkongress Glücksspiel in München vor.

Die Automatenindustrie kennt kein Pardon, sagt W. Wohlwissend um die verheerenden Folgen der Glücksspielsucht konstruiert sie Geräte nach seiner Einschätzung so, dass das Suchtpotenzial besonders hoch ist: "Sie verdienen ja auch eine Menge daran." Aber auch der Staat verdiene am Glücksspiel, und zwar Milliarden: "Das ist ein ganz großes Problem." Womöglich deshalb würden Verordnungen so gestrickt, dass sie nicht richtig greifen. So könne vieles, was in der "Verordnung über Spielgeräte und andere Spiele mit Gewinnmöglichkeit" steht, relativ einfach umgangen werden.

Auch Klaus H. (Name geändert), Beiratskollege von Karl W., erlag einst der Spielsucht. H. ist 49 Jahre alt und lebt im Landkreis Schwandorf. Vom Glücksspiel sei er schon als Kind fasziniert gewesen, erzählt der selbstständige Handwerker:

"Am Anfang war es der Gewinn von drei Mark als siebenjähriger Junge an einem Gerät, das blinkt und dudelt, sowie der große Teddy als Hauptgewinn an der Losbude."

Mit 16 Jahren faszinierte es ihn, dass man durch Spielgeräte, zu Geld kommen konnte: "Dieses Glücksgefühl musste ich immer öfter haben." Mit 18 setzte er schon mehr Geld ein, als er gewinnen konnte.

Aus eigener leidvoller Erfahrung heraus will H. an die Öffentlichkeit bringen, was Glücksspiele anrichten können: "Wir versuchen im Betroffenenbeirat, auf Missstände in Verbindung mit Glücksspiel und Glückspielanbietern hinzuweisen." Mit 27 Jahren sah er keinen anderen Ausweg mehr, als sich umzubringen, H. überlebte. Er suchte sich eine Selbsthilfegruppe, war dadurch drei Jahre spielfrei - doch der Rückfall kam: "Danach musste ich weitere 20 Jahre zocken." Durch eine stationäre Therapie und mit Hilfe einer Fachberaterin bei der Caritas sei er vor eineinhalb Jahren spielfrei geworden.

Die 52-jährige Silvia F., ebenfalls Beiratsmitglied, findet deutliche Worte: "Glücksspiele sind der perfekte und perfide Wirtschaftszweig einer Gelddruckmaschine auf legale Weise."

Die weltweiten Umsätze durch Glücksspiele hätten das "Drogengeschäft" schon lange hinter sich gelassen. "Selbst wenn ein Teil in soziales Engagement fließt, sind Umsätze aus Glücksspielen für mich "Blutgelder", sagt die Sprecherin.

Millionen Menschen bezahlten für diese Umsätze mit Lebensqualität und Gesundheit. Von der Politik fordert Silvia F., den Wirtschaftszweig in die Schranken zu weisen: "Und zwar unverzüglich."

Immerhin haben sich die Verhältnisse in den letzten Jahren spürbar verbessert, sagt Melanie Arnold, Geschäftsführerin der Bayerischen Akademie für Sucht- und Gesundheitsfragen (BAS): "Die Politik hat reagiert." So wurde Glücksspielsucht offiziell als Krankheit anerkannt. Dadurch sei es einfacher geworden, Beratung und Behandlung zu finanzieren. In Bayern gibt es 24 halbe Stellen, die Menschen mit glücksspielbezogenen Problemen Hilfe anbieten", erläutert Arnold. Dennoch sei, was die Ausgestaltung des Spielerschutzes in der Praxis betrifft, "noch reichlich Luft nach oben".

Dass es Menschen gibt, die ihre Spielleidenschaft nicht als Makel empfinden, den sie mit allen Mitteln zu verstecken versuchen, sondern die mutig als Betroffene an die Öffentlichkeit gehen, begrüßt die BAS sehr. Die Selbsthilfe müsse als unverzichtbarer Baustein ins Hilfesystem für betroffene Spieler und ihre Angehörigen einbezogen werden, sagt Arnold. Menschen, die selbst von einer Spielsucht betroffen sind, genießen nach ihren Worten eine besondere Glaubwürdigkeit: "Deshalb sind wir überzeugt, dass der Beirat einen entscheidenden Beitrag im Kampf für den Spielerschutz leistet."