Leicht haben sie es sich wirklich nicht gemacht: Drei Jahre lang haben die 20 Räte und Rätinnen der Gemeinde Pullach bei München über ihre Bischof-Meiser-Straße diskutiert. War der erste Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern (ELKB) ein Antisemit oder ein verdienstvoller Kirchenmann? Soll Hans Meiser (1881-1956) die Ehrung mittels Straßennamen knapp 70 Jahre nach seinem Tod entzogen werden? Nach vielen Anträgen, Studien und Diskussionen hat der Gemeinderat diese Frage am Dienstagabend mit Nein beantwortet: Mit zehn zu neun Stimmen wurde die Umbenennung der Bischof-Meiser-Straße abgelehnt.

Obwohl Bürgermeisterin Susanna Tausendfreund (Grüne) zu Beginn des Tagesordnungspunkts darauf hingewiesen hatte, dass die verschiedenen Positionen in den vergangenen Jahren "bereits sehr facettenreich" diskutiert worden waren, gingen manche Redner nochmal ins Detail. Hans Wiedmeyer vom Geschichtsforum Pullach, das den Antrag auf Umbenennung im Herbst 2020 gestellt hatte, betonte, dass Meiser das Unrecht des Nazi-Regimes nie öffentlich kritisiert und auch nie dagegen protestiert habe:

"Zumindest das wäre auch zur damaligen Zeit gefahrlos möglich gewesen", so Wiedmeyer. Zudem habe der Theologe seine "antisemitischen Ansichten" schon vor und auch noch nach dem Ende der NS-Terrorherrschaft "bekräftigt". Eine Ehrung in Form eines Straßennamens sei in Zeiten wachsenden Antisemitismus nicht mehr angemessen.

Dem hielt Gemeinderat Holger Ptacek (SPD) entgegen, dass Hans Meiser selbst das Ziel von Angriffen der NSDAP oder von Zeitungen wie dem "Stürmer" gewesen sei. Nach 1945 hingegen sei Meiser wohlgelitten gewesen bei Menschen, die selbst NS-Opfer waren. So habe ihm Oberrabbiner Aaron Ohrenstein ein dankbares Geburtstagstelegram geschickt, und der sozialdemokratische Ministerpräsident Wilhelm Hoegner habe Meiser als "Vorbild für die hart bedrängte Bevölkerung" bezeichnet.

Ptacek stellte fest: "Es gibt eine eklatante Diskrepanz zwischen dem Ansehen Meisers nach 1945 und heute."

Um die ambivalente Sicht auf den früheren Landesbischof aufzuschlüsseln, hatte Ptacek bereits im Februar 2022 gemeinsam mit zwei Kollegen von CSU und Grünen beantragt, Meisers Wirken mithilfe von Informationsveranstaltungen und Texttafeln zu beleuchten und so die Entscheidungsfindung des Gemeinderats zu unterstützen. Dieser folgte dem Antrag im April 2022 und ließ von der Historikerin und Meiser-Biographin Nora Schulze Erklärtexte anfertigen. Auf vier Tafeln sollten sie auf dem Gelände des Theologischen Studienseminars der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD), das Anrainer der Pullacher Bischof-Meiser-Straße ist, über Meisers Rolle während der NS-Zeit informieren.

Das Studienseminar und die VELKD, die schon früh grünes Licht für eine Umbenennung gegeben hatten, lehnten die Aufstellung der Tafeln jedoch nach einigem Hin und Her ab - sie könnten nur auf öffentlichem Grund eine Wirkung entfalten. Vom kirchlichen Schlingerkurs enttäuscht, verbannte der Gemeinderat die Erklärtexte daraufhin in den virtuellen Raum: Wer will, findet sie auf der Internetseite der Gemeinde Pullach. Dort sind auch die "Meilensteine" der Debatte in Form von Briefwechseln, Anträgen und Protokollen transparent gemacht.

Bei der Sitzung am Dienstagabend verwies Gemeinderat Ptacek darauf, dass man nicht nur die Bischof-Meiser-Straße umbenennen müsse, wenn man ein Zeichen gegen heutigen Antisemitismus setzen wolle. Dann müsse man auch beispielsweise die Hans-Keis-Straße anschauen, mahnte der SPD-Abgeordnete. Hans Keis habe als NSDAP-Bürgermeister Pullach zwar gut durch die Kriegsjahre gebracht, "aber gegen NS-Unrecht protestiert hat er auch nicht". Die Handreichung des Deutschen Städtetags zur Umbenennung von Straßen wiederum beschreibe Kriterien, die auf Hans Meiser nicht zuträfen: "Er hat nicht gegen Grundrechte verstoßen, er war kein Kriegsverbrecher, er war nie Mitglied der NSDAP - eine Umbenennung ist nicht sinnvoll", erklärte Ptacek.

Nach etwa einer Stunde fiel die Entscheidung der Pullacher Räte schließlich denkbar knapp: Die Bischof-Meiser-Straße behält ihren Namen, so wie auch die Meiserstraßen in Pfaffenhofen, Weiden, Kulmbach, Ansbach und Schwabach. Für eine Umbenennung hatten sich seit 2006 nur Nürnberg, München und Bayreuth ausgesprochen. Zumindest für Pullach ist die Entscheidung der Schlusspunkt einer langen und gründlichen Debatte.

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