Wie immer im August kommen demnächst unsere Kinder und Enkel für eine Woche. Wir haben ein großes Haus und das wird dann so eine Art ausgedehntes Familientreffen. Drei Generationen, zwölf Personen – wir haben genügend Raum für alle und ich freue mich auch immer darauf, dass wieder so viel Leben im Haus ist.
Dass es mehr Arbeit ist als sonst, macht mir nichts aus. Im Gegenteil. Es beschwingt mich und erinnert mich daran, wie es "früher" war.
Aber wenn nach einer Woche wieder alle weg sind, bin ich total erledigt. Mein Mann sagt: "Ist doch auch schön, wenn wieder Ruhe ist." Aber ich fühle mich tagelang wie unter einer Bleidecke, kann mich zu nichts aufraffen. So schön es ist, wenn alle da sind, diesen Zustand fürchte ich fast.
Ich kann mir aber nicht erklären, was da mit mir los ist. "Du machst halt zu viel für die alle, mach halt weniger", sagt mein Mann. Aber das ist es nicht. Es ist mehr als nur Erschöpfung …
Die englische Psychologin Tiffany Watt Smith erwähnt in ihrem "Buch der Gefühle" auch ein Gefühl namens "Awumbuk". So jedenfalls nennen die Baining in Papua-Neuguinea das Gefühl, das sich einstellt, wenn Besuch wieder weg ist. Sie glauben, dass Besucher eine Art von Schwere zurücklassen, damit sie selbst mit leichtem Gepäck weiterreisen können.
Auch bei Ihnen wird Ihr äußeres (und inneres) Haus für eine Woche gefüllt mit vielen Menschen, großen und kleinen, lauten und leisen. Alle bringen mit, was sie beschäftigt, Schönes, Belastendes, Verwirrendes. Sie nehmen es auf, sorgen fürs innere und äußere Wohl. Und dann auf einmal wieder: Leere. Alle sind weg, zurück bleiben ungemachte Betten und die eine oder andere vergessene Kindersocke.
Die Baining glauben, dass das von Gästen hinterlassene Schweregefühl für drei Tage in den Wänden des Hauses der Gastgeber hängt und ein Gefühl von Trägheit und Unkonzentriertheit bewirkt, das sie hindert, sich wieder den alltäglichen Verrichtungen zuzuwenden. Sobald ihre Gäste das Haus verlassen haben, füllen sie deshalb eine Schüssel mit Wasser und lassen sie über Nacht stehen. Das Wasser soll alles absorbieren, was da noch so in der Luft hängt. Am nächsten Tag steht die Familie sehr früh auf und schüttet das Wasser in einer kleinen Zeremonie zwischen die Bäume vor dem Haus. Dann kann das normale Leben weitergehen.
Awumbuk – das ist also ein Wort für die Erfahrung, dass Besucher tatsächlich manchmal atmosphärisch etwas zurücklassen, dass man als Gastgeber gewissermaßen die Atmosphäre erst wieder klären muss. Jeder, der Gäste hatte, weiß ja, wie alles, was sie gesagt und getan haben, in einem noch nachklingt, selbst wenn sie schon wieder weg sind. Dass ein kleines Ritual zur Verarbeitung gut sein kann, leuchtet mir ein. Ich kenne Leute, die machen erst mal alle Fenster auf und lüften richtig gründlich durch. Aber vielleicht ist auch die Schale mit Wasser, die man mit guten Gedanken an all das, was sich darin gesammelt hat, im Garten weggießt, gar nicht so fremd, wie es im ersten Moment scheinen mag …