Für Menschen, die überhaupt noch daran glauben, dass mit dem Tod nicht alles aus ist, wird die Reinkarnationsvorstellung immer attraktiver. In den neuen Bundesländern überwiegt bereits nach einer Umfrage vom Mai 1997 der Glaube an die Reinkarnation den an die Auferstehung. Was verbirgt sich hinter dieser Vorstellung?

Vor allem im Hinduismus, teilweise auch im Buddhismus, gibt es die Überzeugung, der Mensch lebe nicht nur einmal. Der irdische Körper sei so etwas wie ein Gewand, das im Tod abgelegt wird, bevor sich die Seele wieder in einem neuen Körper "inkarniert", d.h. Fleisch, also einen neuen irdischen Körper annimmt. Es gibt kein endgültiges Ende, kein Gericht, keine ewige Seligkeit und keine ewige Verdammnis. In welchem Körper und unter welchen sozialen Umständen die Seele wieder zur Welt kommt, ob also als Königin oder Sklave, als zum Hunger verurteiltes Kind oder als Wohlstandsbaby, das hängt nach dieser Auffassung davon ab, wie gut der betreffende Mensch in seinem vorigen Leben seine Aufgaben erfüllt hat.

Was sich hinter dem Glauben an Wiedergeburt und Reinkarnation verbirgt

Überwiegen die eher schlechten Taten, hat er sich schlechtes "Karma" angesammelt - sehr vereinfacht: er hat eine Menge Minuspunkte, die er im nächsten Leben abarbeiten muss, und zwar vor allem durch Leiden. Hat er hingegen die Aufgaben gut erfüllt, dann hat er "gutes Karma", d.h. einen günstigeren Ausgangspunkt für seine nächste Inkarnation. Für die Inder ist diese Vorstellung erdrückend. Sie "seufzen" unter dem Rad der Wiedergeburten, und das höchste Ziel für einen gläubigen Hindu ist es, "auszusteigen" aus diesem ewigen Kreislauf.

Im Westen hat diese Vorstellung eine bezeichnende Änderung erfahren. Im Osten herrscht ein zyklisches, d.h. kreisförmiges Verständnis der Zeit vor: alles kommt, geht und kommt wieder. Wie die Jahreszeiten im ewigen Kreislauf einander ablösen, so ist alles auf der Welt, und so kommen eben auch die Seelen immer wieder. Es gibt keinen Anfang und kein Ende, die Zeit dreht sich wie ein Rad. Im Westen dagegen, vor allem in der Bibel, aber auch im griechisch-römischen Kulturraum, ist ein lineares Zeitverständnis entstanden, das sich im Zeit-Pfeil ausdrückt: Es gab einen Anfang, nichts wiederholt sich, alles ist einmalig und individuell. Es gibt eine Geschichte, es gibt bleibende Veränderungen und Entwicklungen.

Reinkarnationsglaube und das biblische Verständnis vom Leben

Nun wurden diese Entwicklungen zunächst eher negativ gesehen: In der Bibel gibt es die Geschichte vom guten Anfang im Garten Eden, dem der Fall folgt - die Welt wird immer schlechter, bis sie von Gott unter großen apokalyptischen Wehen vernichtet und neu geschaffen wird, am Ende der Zeit. Erst zur Zeit der Aufklärung änderte sich das grundlegend. Nun wurde eine Aufwärtsentwicklung gesehen: Der Mensch entwickelt sich immer höher, in der Wissenschaft und Technik, aber auch auf moralischem, künstlerischem und politischem Gebiet. Die modernen westlichen Reinkarnationsvorstellungen verbinden den Kreis und den Pfeil zur Spirale. Alles kommt immer wieder, aber jedesmal auf einer höheren Ebene.

Die Menschen entwickeln sich durch ihre Inkarnationen immer weiter, sie verwirklichen immer mehr das Göttliche, das angeblich in jedem von uns liegt. Karma wird nun nicht mehr als "Strafe" verstanden, sondern jede Seele nimmt sich im "Zwischenzustand" zwischen zwei Erdenleben eine Entwicklungsaufgabe vor, die sie im kommenden Leben erfüllen möchte - und wenn sie es in diesem Leben nicht schafft, dann eben im nächsten. Faszinierend an dieser Vorstellung ist das optimistische Bild: Es geht aufwärts. Verlockend auch, dass es keine ewige Verdammnis gibt, sondern immer neue Chancen.

Tröstlich scheint, dass das Leiden erklärbar wird: Die Seele hat es sich selbst "herausgesucht", um daran zu wachsen. Hier setzt aber auch die Kritik ein. Wird das einzelne menschliche Leben nicht entwertet, verliert es nicht seine Würde, wenn es nur als eines in einer "Kette" von tausend anderen gesehen wird? Biblisch lässt sich die Vorstellung von der Seelenwanderung jedenfalls nicht begründen. In der Bibel herrscht eindeutig die Überzeugung vor, dass der Mensch ein Leben hat, für das er am Ende der Zeit Rechenschaft ablegen muss.

Bibelstellen, die die Seelenwanderung "beweisen" sollen

Nun werden immer wieder einige Bibelstellen angeführt, um die Behauptung zu stützen, auch in der Bibel gebe es die Vorstellung von der Seelenwanderung. Da ist vor allem die Frage, ob der Prophet Elia wiedergekommen sei, bzw. die Aussage Jesu, der Täufer Johannes sei der wiedergekommene Elia (Matth. 11,11-14). Dabei wird aber übersehen, dass gerade der Prophet Elia nach 2. Könige 2 gar nicht gestorben war, sondern in den Himmel entrückt wurde. Sein Wiederkommen wird als Vorzeichen des Weltendes gedeutet (Maleachi 3,23), an dem Gericht gehalten wird - kein Gedanke also an eine allgemeine Seelenwanderung.

Die andere Stelle, die oft herangezogen wird, ist die Heilung des blind Geborenen in Joh. 9. Die Jünger fragen, ob er oder seine Eltern gesündigt hätten, dass er - als Strafe Gottes - nun blind geboren sei. Der springende Punkt liegt allerdings bei dieser Geschichte nicht in der Frage nach einem früheren Leben, sondern in der Frage nach der Gerechtigkeit Gottes. Dass Kinder für die Schuld der Eltern gestraft werden, schließt schon das Alte Testament aus (Hesekiel 18) - er selbst kann aber vor seiner Geburt nicht gesündigt haben, es sei denn in einem früheren Leben.

Keine Beweise für Reinkarnation in der Bibel

Die Frage der Jünger erhält erst dann ihre Schärfe, wenn wir davon ausgehen, dass sie nicht an die Reinkarnation glaubten: Das Kind anstelle der Eltern strafen, ist ungerecht. Ungerecht wäre es auch, jemand zu strafen für etwas, was er noch gar nicht getan hat. Wenn nun ein Mensch blind geboren ist, stellt das die Gerechtigkeit Gottes in Frage. Die Antwort Jesu zeigt auch, dass er sich überhaupt nicht für das "Warum" interessiert. Sein Auftrag und der seiner Jünger ist es, Leid zu lindern und Krankheit zu heilen - nicht nach Erklärungen zu suchen.

So faszinierend die Vorstellung der Seelenwanderung auch ist, so gut sie manche ansonsten unlösbaren Fragen zu erklären scheint, biblisch lässt sie sich nicht begründen. Was wir mit den angeblichen "Beweisen" für Reinkarnation - Rückführungen, Nahtoderlebnisse - anfangen sollen, steht auf einem anderen Blatt. Für Christen gilt: "Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der Herr von dir fordert: nämlich Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott" (Micha 6,8). Darauf kommt es an. Und auf das Vertrauen, dass Gott mir gnädig ist und mich liebt, gutes oder schlechtes Karma hin oder her.