Acht Frauen sitzen am Tisch und erzählen aus ihrem Leben. Es sind die Anfänge der Frauenbewegung seit den späten 1960er Jahren, die sie miterlebt und geprägt haben - eine Zeit, für die heute Klischees wie lila Latzhosen und die Zeitschrift "Emma" stehen.

Helke Sanders letzter Film "Mitten im Malestream" (2005) arbeitet gegen eine solche Reduzierung der feministischen Bewegung an, macht die Frauen zu Protagonistinnen. Dass Sander mit am Tisch sitzt und ihre persönliche Geschichte als Feministin erzählt, gehört dazu, so wie sie häufig in ihren eigenen Filmen selbst eine Rolle übernahm. Es ist - um einen Filmtitel von 1981 zu zitieren - ihr subjektiver Faktor, mit dem sie Filmgeschichte geschrieben hat. Am 31. Januar wird die Filmemacherin und Feministin 85 Jahre alt.

Helke Sander: Filmische Karriere

Geboren 1937 in Berlin, ging sie nach dem Abitur zunächst auf die Schauspielschule nach Hamburg, heiratete dann den finnischen Schriftsteller Markku Lahtela, mit dem sie einen Sohn hat, zog nach Helsinki und machte in Finnland Karriere als Theater- und Fernsehfilm-Regisseurin.

Mitte der 1960er Jahre kehrte sie mit ihrem Sohn nach Deutschland zurück und nahm 1966, mit fast 30 Jahren, als eine von drei Frauen ein Studium an der neu gegründeten Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin auf. Dort realisierte sie erste Kurzfilme wie "Subjektitüde" sowie ihren Dokumentarfilm "Brecht die Macht der Manipulateure" (1968) über die Anti-Springer-Kampagne und deren Folgen.

Helke Sander kämpfte sich als Alleinerziehende durch, initiierte 1968 gemeinsam mit anderen erste "Kinderläden" und gründete den "Aktionsrat zur Befreiung der Frauen". Im Herbst 1968 hielt sie in Frankfurt am Main eine denkwürdige Rede auf dem Delegiertenkongress des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes SDS. Den Genossen warf sie vor, Themen wie Kindererziehung als Privatsache von Frauen zu behandeln. "Das Private ist politisch", schleuderte sie ihnen entgegen und bezeichnete den SDS als "konterrevolutionären Hefeteig". Als die Genossen zur Tagesordnung übergehen wollten, flogen Tomaten. Die "Tomatenrede" von Helke Sander wurde zu einer Initialzündung für die neue Frauenbewegung.

Die 1970er Jahre waren ein Jahrzehnt des Aufbruchs, auch für Helke Sander. Sie war Mitbegründerin der Frauengruppe "Brot und Rosen", schrieb am "Frauenhandbuch Nr.1" mit und initiierte mit ihrer Kollegin Claudia von Alemann 1973 das erste Frauenfilmfestival in Berlin. Im Jahr darauf gründete sie das erste feministische Filmjournal "Frauen und Film", das sie bis 1982 herausgab. Und sie drehte unermüdlich weiter.

Sander: Redupers

Mit "Die allseitig reduzierte Persönlichkeit - Redupers", der 1978 auf dem Forum der Berlinale lief und auf internationalen Festivals Preise errang, feierte Sander ihren ersten großen Erfolg als Filmemacherin. Die Geschichte einer alleinerziehenden Berliner Pressefotografin ist in einer dokumentarisch-fiktionalen Mischform erzählt.

"Das ist ein Schlüsselfilm", urteilt Martin Koerber, Leiter der Abteilung Audiovisuelles Erbe der Deutschen Kinemathek, "er nimmt Methoden auf, die man zwar schon von Alexander Kluges Film 'Die Artisten in der Zirkuskuppel' her kannte, aber Helke Sander macht es aus weiblicher Sicht, ihre Spielfilme handeln von realen Dingen aus dem eigenen Erleben. 'Redupers' hat da den Ton gesetzt."

Diesen Ton behält sie auch in ihren anderen Filmen bei, etwa in "Der subjektive Faktor" (1981), in denen sie die Anfänge der Studenten- und neuen Frauenbewegung thematisiert. Er wurde bei den Filmfestspielen von Venedig ausgezeichnet. 1985 erhielt sie für ihren Kurzfilm "Nr. 1 - Aus Berichten der Wach- und Patrouillendienste" den Goldenen Bären für den besten Kurzfilm. Internationales Aufsehen erregte ihre Fernsehdokumentation "BeFreier und Befreite" (1992) über die Vergewaltigung von deutschen Frauen durch alliierte Soldaten bei Kriegsende 1945.

Als Dozentin und Professorin, zuletzt an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg, hat Helke Sander zahlreiche Jahrgänge junger Filmemacherinnen geprägt. Zu ihren Studentinnen gehört Maren Ade ("Toni Erdmann"), sowie die Filmemacherin Bettina Schoeller-Bouju.

Helke Sanders Rat, sagt Schoeller-Bouju, sei gewesen:

"Hinterfragt doch mal die Umstände, nicht immer nur euch selbst."

Das habe sie ermutigt, Selbstzweifel an Drehbüchern oder Themen zu relativieren. "Sie hat für mich eine gedankliche Tür geöffnet", erklärt die Mitbegründerin des Vereins Pro Quote Regie gegenüber epd. "Ohne meine feministische Vorbildung durch Helke hätte ich das nicht gemacht."

Die Rechte an ihrem filmischen Werk hat Helke Sanders unlängst der Deutschen Kinemathek übertragen. Gemeinsam mit der Filmemacherin konnten jetzt die meisten Arbeiten digitalisiert werden. Eine Auswahl wird Ende Februar 2022 in einer Reihe im Kino Arsenal in Berlin gezeigt.