Ein Gebet, begleitet von atmosphärischer Live-Musik. Ein professionell produzierter Werbefilm zur Spendenkampagne. Eine Predigerin, die sich – inspiriert von der biblischen Königin Ester – selbst eine Krone aufsetzt. Dazu eine durchdachte PowerPoint-Präsentation zum Thema Fasten und eine eingespielte Tonspur eines weinenden Babys, das sinnbildlich für unsere nach Gott dürstenden Seelen stehen soll.

Auf der Bühne des ICF München geschieht viel – immer wieder erzählen Menschen von ihren persönlichen Erlebnissen mit Gott und dem Thema der Predigt. Es ist ein Gottesdienst, den man wohl am treffendsten als "actionreich" bezeichnen kann.

Die sogenannten "Celebrations" im ICF unterscheiden sich deutlich von dem, was man aus den klassischen Gottesdiensten der Landeskirchen kennt, jeden Sonntag finden mehrere Gottesdienste zu verschiedenen Uhrzeiten statt.

Aber was steckt dahinter? Ist ICF nur eine hippe Verpackung für altbekannte Inhalte – oder wirklich eine neue Art von Kirche?

ICF München

Das "International Christian Fellowship", kurz ICF, ist eine freikirchliche Bewegung, die ihren Ursprung in der Schweiz hat. In den 1990er-Jahren gegründet, ist sie inzwischen weltweit vertreten. Ihr Markenzeichen: moderne Musik, professionelle Bühnenästhetik, eine jugendnahe Sprache – und eine Theologie, die klare Orientierung schaffen will.

In Deutschland gibt es mittlerweile über 20 ICF-Standorte, darunter auch das ICF München. "Ich glaube die Annahme, wir wären besonders was für junge Menschen, stammt noch aus der Anfangszeit. Mittlerweile sind alle Atersgruppen im ICF München vertreten, vom Säugling bis zum Greis", meint Konstantin Fritz, Pressesprecher und Leiter der Männerarbeit im ICF München zu sonntagsblatt.de.

Auf seiner Webseite beschreibt sich das ICF München selbst als "eine überkonfessionelle Freikirche auf biblischer Grundlage, die aus dem Traum entstanden ist, Kirche für die Menschen wieder dynamisch, lebensnah und zeitgemäß zu gestalten." Geleitet wird die Kirche seit 2004 von dem Ehepaar Tobias und Frauke Teichen.

Und so sitzen Besucher aus unterschiedlichen Alters- und Gesellschaftsgruppen in der bestuhlten Diskothek "Neuraum" am ZOB an der Donnersbergerbrücke in München.

Ein Sonntagmorgen im Club

"Achtung, hier ist der Boden noch etwas klebrig von gestern Nacht", sagt der Mann vom Welcome-Team lachend, während er mich an einem Sonntag Mitte März durch die schummrige Eingangshalle des Münchner Technoclubs führt. Wenige Stunden zuvor wurde hier noch getanzt und getrunken, jetzt sinken Gottesdienstbesucher beim Singen von Worship-Liedern und beim Beten auf eben diesen Boden, um ihren Gefühlen zu Gott Ausdruck zu verleihen.

"Die Beteiligung der Gemeinde in den ICF-Celebrations findet unter anderem auf der emotionalen Ebene statt", erklärt Haringke Fugmann: Landeskirchlicher Beauftragter der Evang.-Luth. Kirche in Bayern für geistige und religiöse Strömungen der Gegenwart. Mit dieser Einschätzung bringt er das Erlebte auf den Punkt:

Die Celebrations scheinen darauf ausgelegt, intensive emotionale Erfahrungen zu erzeugen – Momente von Erhabenheit oder Euphorie während des Lobpreises, von innerer Rührung oder Ermächtigung im Gebet, von tiefer Sehnsucht nach göttlicher Nähe. Diese emotionalen Hochphasen können – je nach persönlicher Deutung – als spirituelle Erfahrungen gelesen werden.

Doch Fugmann mahnt zur Differenzierung: "Nicht alles, was sich gut anfühlt, ist auch automatisch richtig. Emotionen können ein Teil religiöser Erfahrung sein, aber sie ersetzen keine theologische Reflexion. Genau da hat Theologie eine wichtige Korrekturfunktion."

Glaubensrichtung des ICF

Die theologische Ausrichtung von ICF verortet Dr. Haringke Fugmann zwischen evangelikal und charismatisch. Evangelikale Traditionen betonen vor allem die persönliche Beziehung zu Jesus Christus sowie die hohe Autorität der Bibel. Charismatische Einflüsse zeigen sich insbesondere in der emotional geprägten Anbetungskultur, in ausgedehntem Lobpreis und in spirituellen Phänomenen wie Zungenrede.

Zentral ist für Fugmann die "bibelfundamentalistische Wortauslegung", wie sie im ICF praktiziert wird – also die Neigung, die Bibel eher wörtlich auszulegen. Diese Haltung, so erklärt er, führe nicht selten zu konservativen moralischen Werten, etwa in der Bewertung von Homosexualität.

Auch das Glaubensverständnis innerhalb von ICF ist stark individualisiert – zumindest auf den ersten Blick. Die persönliche Beziehung zu Gott steht im Mittelpunkt, ebenso wie der Weg dorthin. Dieser ist in drei Phasen unterteilt: "Explore", "Get Free" und "Impact".

"Es geht zunächst darum, Gott kennenzulernen, sich von inneren Blockaden und Verletzungen zu lösen, und schließlich das eigene Leben so zu gestalten, dass es aufblüht, anderen dient und Gottes Wirken sichtbar macht", so ICF-Sprecher Fritz am Anschluss an die Celebration in München.

Zentrales Gottesbild der Freikirche

Das Gottesbild von ICF ist dabei klar umrissen: Gott liebe jeden Menschen bedingungslos. Doch durch die Entscheidung des Menschen, sich selbst in den Mittelpunkt zu stellen – der Sündenfall –, sei eine Trennung von Gott entstanden. Jesus, so die ICF-Lehre, habe all das Negative auf sich genommen, sei durch diese zerstörerische Kraft selbst gestorben, aber auferstanden, weil er selbst Gott ist. So weit, so gut.

Das Entscheidende bei ICF ist allerdings, worauf sie sich konzentrieren: Auf diese Entfremdung von Gott, auf diese persönliche, eigene Beziehung, die es zu reparieren und immer mehr zu verbessern gilt.

Zentrales Mittel zur Wiederherstellung der Gottesbeziehung ist das Gebet – es wird als Kraftquelle verstanden, durch das Heilung und Veränderung möglich werden.

Die Wichtigkeit des Gebets wird schon in den ersten Minuten der Celebration klar, als ein Mann auf der Bühne im ersten Gebet zunächst anführt, dass selbst das schlechte Gewissen, unter der Woche zu wenig gebetet zu haben, nicht lähmen, sondern im Gegenteil zum Antrieb für noch hingebungsvolleren Lobpreis werden soll.

Doch der Landeskirchen-Beauftragte Fugmann sieht auch hier Grenzen: Die propagierte Individualität innerhalb des Glaubens sei seiner Meinung nach nur so lange erwünscht, wie sie zur "Corporate Identity" von ICF passe – also zu dem Gesamtbild, das die Kirche nach außen hin vermitteln möchte.

Corporate Identity

Das Gesamtbild ist klar. Wer das ICF betritt, betritt eine durchinszenierte Glaubenswelt. Alles wirkt durchdacht – aber nicht distanziert, sondern einladend. Es ist eine Kirche, die zugleich Heimat und Bühne sein will.

Und dieses große Ganze funktioniert nur, weil unzählige einzelne daran mitarbeiten. Ehrenamt ist hier nicht ein unterstützendes Extra, sondern das Rückgrat des gesamten Systems. Laut Aussage ihrer Webseite sind sie der größte ehrenamtliche Betreiber Münchens. Und wie ich in dem Gottesdienst gemerkt habe, ist es mehr als eine Behauptung.

Ich sitze in der ersten Reihe neben einem kleinen Mädchen. Vielleicht gerade einmal zehn Jahre alt. Auf dem T-Shirt, das sie trägt, steht in großen Buchstaben "Technik & Logistik". Auf dem Kopf trägt sie ein Headset, auf dem Schoß liegt eine Video-Kamera, die sie konzentriert auf die Bühne richtet. Sie ist voll dabei – Teil des Teams, Teil der Show, Teil der Gemeinschaft.

ICF ist eine Community mit klarem Wertesystem, einem hohen Maß an Zugehörigkeit und einem starken Drang, sich einzubringen. Und es ist genau diese Mischung, die funktioniert: Eine einfache, strikte Orientierung durch eine theologisch klar umrissene Lehre – und ein moderner, professioneller, emotional aufgeladener Auftritt, der das Ganze attraktiv verpackt.

Jeden Sonntag zieht die Kirche so laut eigenen Angaben tausende Besucher in die umfunktionierte Diskothek. "Das sind die zwei Pull-Faktoren – klare Lehre und zeitgemäße Inszenierung", so Fugmann.

Zwischen Spiritualität und Show – ist das neu?

Dass Kirchen versuchen, sich emotional erfahrbar zu machen, sei keineswegs neu, erklärt Fugmann. Schon in der Barockzeit setzten katholische Kirchen beispielsweise auf prächtige Inszenierung: goldverzierte Altäre, Weihrauch, Orgelspiel.

Die Verbindung von Glaube und Gefühl, von Liturgie und Erleben, ist also keinesfalls ein Alleinstellungsmerkmal von ICF. Auch andere Freikirchen, charismatische Bewegungen oder moderne Großstadtgemeinden nutzen längst Bühnenlicht und Beamer, um die Botschaft zu vermitteln.

ICF ist also nicht einzigartig – aber vielleicht besonders konsequent. Es zieht die moderne Ästhetik bis in die kleinste Faser durch, es inszeniert Glauben wie ein Lifestyle-Event, ohne das Wort "Inszenierung" negativ zu meinen. Und was die Wertevorstellungen angeht – nun ja, da sollte man sich von den Scheinwerferlichtern nicht blenden lassen und selbst bewerten, wie man dazu steht.

Kommentare

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Ingrid Müller am So, 20.04.2025 - 13:01 Link

Nun die Gottesdienste der Institution Kirche sind für junge Leute nicht ansprechend.
Eher abschreckend.Man sieht die nicht im Gottesdienst.
Jeder Gottesdienst ist ein Seniorengottesdienst.
Die Lieder,die Liturgie zu weit weg von der Lebensrealitaet.
Es wäre super wenn die Kirchen mit Freikirchen zusammenarbeiten wuerden.
Ein Prediger einer Freikirche im Evangelischen Gottesdienst waere super.

ChrisMünchen am Di, 15.04.2025 - 17:13 Link

Vielen Dank für den spannenden Beitrag! Toll geschrieben und gut berichtet.

Zwei Anmerkungen: 1) Warum ist das für eine evangelische Zeitung etwas Außergewöhnliches, das Gebet im christlichen Glauben eine zentrale Rolle spielt? (siehe z.B. 1. Thessalonicher 5,17, Matthäus 6,6, Psalm 145,18 und viele Verse mehr)

2) Dei "Entfremdung von Gott" die im ICF thematisiert wird, ist hier als etwas ganz ungewöhnliches dargestellt - dabei geht es hier einfach um das Thema der Trennung von Gott durch die Sünde, was sich durch die komplette Bibel zieht? (siehe z.B. Jesaja 59,2, Römer 3,23, 1. Mose 3 (Sündenfall) und viele mehr)

Oder habe ich hier etwas falsch verstanden?

Vielen Dank, dass Sie über Freikirchen wie das ICF berichten (die übrigens das gleiche Apostolische Glaubensbekenntnis haben wie die evangelische Kirche).

Florian Meier am Di, 15.04.2025 - 19:26 Link

Mir sind die Ehrenamtlichen im Bericht etwas aufgestossen: Was ist bedenklich daran, dass diese das Rückgrat der Veranstaltung bilden und ist es in der Landeskirche so anders? Bei uns nicht, denn die schließen auf, begrüßen, zünden die Kerzen an, besorgen Kaffee und Kuchen und leiten viele Kreise. Verdächtig oder schlecht daran ist gar nichts.

PeterG am So, 20.04.2025 - 09:11 Link

Der Kriki kann ich mich nur anschließen: Ohne Ehrenamtliche würde es gar nichts mehr geben in unserer Gemeinde: Krankenbesuche, Kindergottesdienst, weitete Gruppen. Selbst der Gottesdienst wird zu 100 % von Ehrenamtlichen getragen. Kein Hauptamtlicher unterstützt uns.