Alte Holzkisten und Regenrinnen, ausrangierte Blumentöpfe und sogar Einkaufstüten finden als Pflanzkübel neue Verwendung: Ein umfunktioniertes Fass aus dem Chemieunterricht und einige Gartenschläuche ermöglichen die Bewässerung. Beim "Urban Gardening"-Projekt am Schwabacher Wolfram-von-Eschenbach-Gymnasium stehen Re- und Upcycling auf dem Programm. Die Ethikklasse der zehnten Jahrgangsstufe will ihre Schule ein Stückchen grüner machen. "Warum sollte ich meinen Schülern das Thema Wirtschaftsethik nur theoretisch beibringen, wenn sie doch viel mehr durch die Praxis lernen können?", sagt Lehrerin Katharina Bluhme.

Damit ihr Engagement auch Früchte trägt, erhalten die Schüler praktische Tipps von einem Mann vom Fach. "Am besten baut ihr schnellwachsende Pflanzen wie Erdbeeren, Salat oder Kräuter an", erklärt Heino Schwarz den Jugendlichen im Klassenzimmer. Der erfahrene Gärtnermeister und Florist aus Schwabach kennt sich auch mit der Geschichte dieser besonderen Form der Landwirtschaft aus - nicht im Gewächshaus oder auf dem Acker, sondern mitten im Wohngebiet.

Wie das Urban Gardening in Kuba entstand

"Die Wurzeln des 'Urban Gardening' liegen in der Karibik", erklärt der Mann mit dem grünen Daumen: "Vor mehr als zwanzig Jahren entstand in Kuba die städtische Landwirtschaft." Mit dem Zerfall der Sowjetunion - dem wichtigsten Unterstützer des Inselstaats - brach Anfang der 1990er Jahre die Ölversorgung des Landes ein. "Die Wirtschaftskrise hat zu Engpässen in der Lebensmittelversorgung geführt", berichtet Schwarz. "Ohne Erdöl konnten keine Erntefahrzeuge betrieben werden, auch Pestizide und Düngemittel wurden knapp. Die maschinelle Landwirtschaft war am Boden."

Als Antwort auf die katastrophale Versorgungslage habe die sozialistische Regierung Kubas die urbane Landwirtschaft per Gesetz angeordnet. "Um das Überleben auch ohne große Nutzfahrzeuge und Maschinen zu sichern, hat man versucht, jede irgendwie geeignete Fläche für den Anbau zu nutzen", sagt Schwarz. "Egal ob auf Mauern, Dächern oder dem Balkon - überall haben die Menschen fleißig gepflanzt. Und sie tun es noch heute."

In Kuba leistet das "Urban Gardening" nach wie vor einen wichtigen Beitrag zur Lebensmittelversorgung. Geringe Kosten, hoher Ertrag. Laut dem deutschen Bundeszentrum für Ernährung (BZfE) erzeugt der urbane Gartenbau heute zwei Drittel des in der Hauptstadt Havanna konsumierten Gemüses.

Wie sich Urban Gardening in der Welt verbreitete

Was sich in Kuba aus der Not heraus entwickelte, ist mittlerweile weltweit verbreitet. Das Notfallkonzept wurde zum Trend auch in den europäischen Staaten. Der Trend zur Bewegung. "'Urban Gardening' ist heute ein breitgefächerter Begriff", betont Gärtner Schwarz.

Die Zukunft der Idee ist vielversprechend. In New York oder Tokyo wachsen sogenannte "Vertical Farms" aus dem Boden. Hochhaushohe Zylinder aus Glas und Stahl sollen in der Zukunft den Gemüseanbau im ganz großen Stil möglich machen - als Gewächshäuser zwischen Hauptverkehrsadern und Einkaufsmeilen. Noch werden nur einige wenige dieser hoch technisierten "Farmscraper" getestet. Die Versorgung einer Großstadt bleibt bislang eine Utopie, die Kosten sind enorm. "Solche Projekte können nur funktionieren, wenn sehr günstiger, umweltfreundlich erzeugter Strom zur Verfügung steht", vermutet Schwarz.

Urban Gardening macht Städter zu Mini-Landwirten

In eine andere, zweite Richtung, verläuft das Low-Cost-Gardening nach kubanischem Vorbild, an dem sich auch die Schwabacher Gymnasiasten mit ihrer Lehrerin Bluhme orientieren. Hipster und Hobbygärtner organisieren sich heute in zahlreichen Initiativen in den europäischen Großstädten, machen den Stadtmensch zum Mini-Landwirt. Städte und Kommunen in Deutschland bekennen sich zu konkreten Konzepten, gründen sogenannte Ernährungsräte, um die Bürger politisch gestalten zu lassen oder verfolgen die Grundsätze einer "essbaren Stadt".

Das erklärte Ziel dieser Art des "Urban Gardening": Grünflächen weniger mit Deko-Blumen bepflanzen und mehr mit Nutzpflanzen bewirtschaften. Auch für Nürnberg und Umgebung hat sich ein Ernährungsrat formiert. "Flächen, die vormals nur grüne Graswüsten waren, werden plötzlich die Biodiversität im städtischen Lebensraum bereichern", sagt Julia Schrader, Mitglied des Gremiums, das auch Nürnberg zu einer "essbaren Stadt" machen will. Die wichtigsten Vorteile des urbanen Gartenbaus hat die "AG essbare Stadt" des Ernährungsrats in einem Manifest aufgelistet.

Vorteile des städtischen Gartenbaus

Öffentliche Gärten, begrünte Dächer, blühende Balkone oder Hochbeete vor der Stadtmauer - die Projekte leben von den unterschiedlichen Menschen, die sich darin engagieren. "Durch 'Urban Gardening' entwickeln sich Treffpunkte in der Nachbarschaft ohne Konsumzwang", betont Schrader. So stärken die Initiativen auch den sozialen Zusammenhalt, sorgen für gutes Klima in aufgeheizt-hektischen Wohnvierteln. Gleichzeitig lassen öffentliche Gärten - im Idealfall - ein Bewusstsein für einen verantwortungsvollen Umgang mit Lebensmitteln wachsen.

Gärtnermeister Schwarz prognostiziert dem improvisierten "Urban Gardening"-Modell Kubas in Deutschland dennoch keine allzu rosige Zukunft: "Bei uns haben die Verbraucher genügend Geld, die Artikel einer grünen und innovativen Zulieferbranche zu erwerben." Für gute und schnelle Ergebnisse müsse man da das Rad nicht neu erfinden. "Omas Tipps können nach wie vor nützlich sein", sagt Schwarz. "Und wer sein Projekt nicht 'Urban Gardening' nennt, hat eben einfach Gemüsepflanzen auf dem Balkon"