Für viele Christen ist ein biblisches Wort im nächsten Jahr 2021 eine Richtschnur auch für ihr alltägliches Leben. Dafür haben die Kirchen als Jahreslosung die Passage

"Jesus spricht: Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist"

aus dem Lukas-Evangelium ausgewählt. Diese Bibelworte als Leitmotiv, die Christen seit über 90 Jahren begleiten, sind 1930 als Glaubenszeugnis gegen die Nazi-Ideologie entstanden.

Der württembergische evangelische Theologe Otto Riethmüller (1889-1938) wollte als Vorsitzender des "evangelischen Reichsverbands weiblicher Jugend" den Parolen der Nazis ein plakatives Bibelwort entgegenstellen. Dafür wählte er bereits 1930 den damals hochpolitischen Bibelvers "Ich schäme mich des Evangeliums von Jesus Christus nicht" (Römer 1,16). Bereits 1934 übernahmen alle evangelischen Kirchen in Deutschland die von Riethmüller entwickelten Jahreslosungen.

Geschichte der Jahreslosungen

Die Jahreslosungen gehen auf eine Frömmigkeitsform der pietistisch geprägten Herrnhuter Brüdergemeine (rpt: Brüdergemeine) in der sächsischen Oberlausitz zurück. Für die Mitglieder dieser geistlichen Gemeinschaft wählte ihr Begründer Ludwig Graf von Zinzendorf 1728 zum ersten Mal einen Bibelspruch für jeden Tag aus, an dem sie sich orientieren sollten. Die Losungen fanden bald Beachtung weit über die Gemeine hinaus: Sie wurden beispielsweise zur täglichen Lektüre des Reichskanzlers Otto von Bismarck, des NS-Widerstandkämpfers Dietrich Bonhoeffer, von Wolfgang Schäuble und Katrin Göring-Eckart.

Bis heute läuft die Praxis der Losungen nach einem eingeführten Ritual ab: Jeweils im Frühjahr wird im barocken Vogtshof in Herrnhut eine silberne Schale aufgestellt, in der viele kleine Papierschnitzel mit Bibelsprüchen liegen. Aus dieser Schale ziehen - wie bei einem Losverfahren - Mitglieder der Leitung der Gemeinschaft abwechselnd die Bibelverse für das Jahr, die dann in einem "Losungsbuch" veröffentlicht werden. Die Jahreslosung folgt zwar diesem Verfahren, werden aber nicht mehr von der Herrnhuter Gemeinde ermittelt, sondern von der Ökumenischen Arbeitsgemeinschaft für Bibellesen (ÖAB).

Inzwischen sind die "Losungen" zu einem internationalen Bestseller geworden In über 50 Sprachen werden sie in einer Millionenauflage auf allen Kontinenten verbreitet, sie liegen in Blindenschrift vor, als Comic, als Bildschirmschoner oder "Losungen-App". Häufig beginnen kirchliche Gremien wie etwa Kirchenvorstände ihre Sitzungen mit der Verlesung der Tageslosung.

Jahreslosung für 2021

Die Jahreslosung für 2021 sieht der bayerische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm als Auftrag an alle Menschen, Barmherzigkeit zu üben. Dabei könne man nur gewinnen. Denn wer barmherzig ist, "schließt verfahrene Situationen auf, der erreicht Herzen und schafft Umdenken bei Festgefahrenem". Für die Theologin Margot Käßmann ist Barmherzigkeit ein Charakterzug von Menschen, die aus einer "Haltung der Nächstenliebe" handeln. Thomas Sternberg, Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, hält sie für eine "notwendige, emotionale Ergänzung zu Recht und Gerechtigkeit".