Eine Kirche für die junge Generation. Diesen Eindruck gewinnt man von Hillsong auf den ersten Blick. Lobpreismusik, die Menschen zum Tanzen bringt, die sogar Grammys gewinnt. Charismatische Prediger, welche die Sprache der Jugend nutzen. Eine Kirche, in der Jesus "krass" und "cool" ist. Eine Kirche, die an Jesus glaubt, die Gott und die Menschen liebt, so steht es auf der Webseite von Hillsong Germany.

Mittlerweile in fünf Standorten im deutschsprachigen Raum ist die Hillsong Germany e. V. vertreten: In Düsseldorf, Konstanz, Wien, München und Zürich. Und zusätzlich gibt es in Berlin noch eine eigene Gemeinde.

Nicht nur in der Anglosphäre kommt also diese Megachurch gut an, doch was ist eine Megachurch überhaupt? Und was ist Hillsong?

Hillsong Church: Entstehung und globale Ausbreitung

Die Hillsong Church wurde 1983 von Brian Houston und seiner Frau Bobbie in Sydney, Australien, gegründet. Ursprünglich als Hills Christian Life Centre bekannt, wurde sie schnell sehr beliebt.

Das Alleinstellungsmal: die moderne Worship-Musik, also neue, popmusikalische Lobpreislieder.  Mit dieser Musik als zentralen Teil des Gottesdiensts wuchs die Gemeinschaft rasch an. Die Kirche wurde mit speziellem Augenmerk auf die Lieder in Hillsong umbenannt und insbesondere Alben wie "Shout to the Lord" und "Oceans (Where Feet May Fail)" machten die Kirche bekannt, auch international.

Heute gibt es Hillsong in über 30 Ländern – von London, New York und Los Angeles bis nach Kapstadt, Kiew, Buenos Aires und seit ein paar Jahren eben auch im deutschsprachigen Raum. Die Kirche betreibt ein sogenanntes College, ein eigenes Musiklabel, Konferenzen und TV-Sender. Allein in Amerika kommen jede Woche schätzungsweise um die 100.000 Gläubige zu den Gottesdiensten.

Und daran sieht man schon, was eine Kirche zur Megachurch macht.

Michael Herbst, Professor für praktische Theologie mit einem besonderen Forschungsinteresse für neue Gemeindeformen, erklärt in einem Gespräch mit sonntags:

"Megakirchen sind fixiert auf die Reichweite. Sie wollen Hallen füllen."

Nur eine Kirche, die mehrere tausend Besucher pro Woche verzeichnen kann, ist also auch eine Megachurch. In Europa knackt Hillsong diese Besuchermarke jedoch noch nicht.

Ein Mann mit Brille und weißen Haaren lächelt in die Kamera
Professor Michael Herbst

Der Lifestyle von Hillsong

Herbst meint lachend:

"Bei der Kirchenmusik der Landeskirche hab ich manchmal das Gefühl, man muss erst Johann Sebastian Bach lieben, bevor man das Evangelium verstehen kann."

Bei Hillsong sind es stattdessen Bands wie Hillsong UNITED, oder Hillsong Young & Free, die mit ihren vielen Millionen Klicks auf Youtube glänzen und ihren Weg auch in die Kirchenmusik der landeskirchlichen Gemeinden gefunden haben.

Und das Evangelium, was es durch die Musik zu verstehen gibt, ist schnell in den Grundzügen skizziert. Es handelt sich dabei um das Wohlstandsevangeliums ("Prosperity Gospel"), welches man sonst eher in Teilen der pfingstkirchlichen und evangelikalen Kreisen findet.

Grundlegend bedeutet es, dass alle, die sich Gott nur voll hingeben, ein gelingendes Leben führen werden. Es ist von Erfolg und Gesundheit die Rede, aber noch wichtiger: Wer Gott in seinem Leben voll annimmt, wird sein volles Potenzial und seine Gaben entfalten können.

Herbst betont, dass es sich dabei nicht um materiellen, sondern seelischen Reichtum handele, den man laut dieser Theologie erlange, wenn man sich Gott voll hingebe, zum Beispiel in der Freiwilligenarbeit.

Allein unter vielen

Bei dieser Freiwilligenarbeit beeindruckt Hillsong wie auch schon bei den Gottesdienstbesuchern mit großen Zahlen, die jedoch nur geschätzt werden können, weil Hillsong selbst keine Zahlen transparent offenlegt. Doch trotz der großen Massen soll sich niemand anonym fühlen. Neue Besucher werden direkt in Kleingruppen integriert – sogenannte "Connect Groups", in denen sie schnell Anschluss finden und das Gefühl einer engen Gemeinschaft erleben sollen.

Allerdings gibt es in den eigentlichen Gottesdiensten wenig Raum für echte Beteiligung. Während in vielen kirchlichen Traditionen wechselseitige Psalmgebete, gemeinsames Vaterunser oder liturgische Elemente eine Rolle spielen, bleibe das Publikum bei Hillsong vor allem in der Rolle der Zuhörenden und Zuschauenden, erklärt Herbst.

Spenden und Mitarbeit

Das Mitmachen beschränkt sich auf emotionales Mitsingen, Klatschen und das Hände-zu-Gott-erheben. Beteiligung findet eben in der Mitarbeit in der Gemeinde und nicht im Gottesdienst statt. Mitarbeit wird als zentraler Ausdruck des Glaubens gesehen, teilweise mit starkem Erwartungsdruck. Vor allem auch das finanzielle Engagement spielt eine große Rolle.

"Sich voll hingeben", die aktive Mitarbeit, und großzügige Spenden, im besten Fall in Höhe des religiösen Zehnten. Das sind die drei Säulen Hillsongs, die aber auch nicht unüblich für Freikirchen sind. Neben dem Geld wird auch ein erheblicher Teil der Zeit für die Gemeinde aufgebracht. Wer aktiv in Hillsong engagiert ist, verbringt oft den Großteil seines sozialen Lebens innerhalb der Gemeinde.

Kritik an der Megachurch

Herbst kritisiert diese starke Fokussierung:

"Nächstenliebe ist auch das freiwillige Helfen, zum Beispiel im Tierheim. Aber bei Hillsong zählt nur das Engagement in der eigenen Gemeinde."

Das Dienen für Gott wird dabei ausschließlich innerhalb der Strukturen von Hillsong interpretiert. Wer sich zu sehr in Hillsong einbringt, kann schnell erleben, dass das eigene Leben außerhalb der Gemeinde immer kleiner wird – ein Punkt, den auch der Podcast "Toxic Church" thematisiert und stark kritisiert. Der Podcast berichtet von emotionaler Abhängigkeit, Druck und Ausbeutung und das alles unter dem Namen Gottes. 

Hillsong vermittelt das Bild einer modernen, offenen Kirche. Die Botschaft: Jeder ist willkommen. Doch hinter dieser Fassade steckt eine klare Erwartungshaltung. Wer Teil der Gemeinschaft bleibt, soll sich verändern – und zwar in eine Richtung, die Hillsong vorgibt. Wer sich nicht genug engagiert, kann schnell das Gefühl bekommen, nicht ausreichend zu sein. Doch es geht nicht nur um Aktivität: Auch inhaltlich gibt es klare Vorgaben, wie ein gottgefälliges Leben auszusehen hat.

Ein Beispiel ist das traditionelle Familienbild, das Hillsong propagiert. Zwar stehe Sexualethik und Diskussionen über Familienbilder nicht im Fokus der Megachurch, aber das Grundbild sei eindeutig ein Klassisches, so Herbst. Sex vor der Ehe oder homosexuelle Beziehungen werden nicht offen verurteilt, aber subtil problematisiert. LGBTQIA+-Personen können zwar Teil der Gemeinde sein, erleben aber oft, dass sie ihre Identität nicht vollständig ausleben dürfen. Und wer hat die Macht, so etwas bestimmen zu können? Der spirituelle Führer von Hillsong.

Machtmissbrauch

Die fehlende institutionelle Kontrolle innerhalb von Hillsong hat zu massiven Problemen geführt. "Gemeinden ohne Checks and Balances funktionieren auf Dauer nicht", betont der Professor. Zwar macht es Kirche etwas umständlicher und diese Strukturen bieten keine absolute Sicherheit vor Machtmissbrauch, doch sie schaffen zumindest Hürden und Kontrollinstanzen. Hillsong hingegen setzt stark auf charismatische Führungspersönlichkeiten, ohne wirksame Gegenmechanismen.

Diese fehlende Kontrolle hat dazu geführt, dass Missbrauchsskandale erst spät ans Licht kamen. Ein Problem, das Hillsong inzwischen in mehreren Ländern eingeholt hat. Besonders bekannt wurde der Fall des ehemaligen Hillsong-Pastors Carl Lentz, der 2020 wegen moralischen Fehlverhaltens entlassen wurde. Auch Hillsong-Gründer Brian Houston sah sich Missbrauchsvorwürfen ausgesetzt, welche den Anlass für viele gaben, die Missstände in Hillsong öffentlich zu machen und die Kirche in einen Skandal nach dem nächsten stürzte.

Kein vorübergehendes Phänomen

Ist Hillsong nur eine Modeerscheinung? Dafür sei die Kirche schon zu lange erfolgreich, sagt Herbst. Mit ihrer internationalen Reichweite, modernen Gottesdienstformen und starken musikalischen Präsenz hat sie eine Nische geschaffen, die keine typische Freikirche besetzt. Die langfristige Bindung ihrer Anhänger bleibt jedoch fraglich. Da Hillsong keine klassische Mitgliedschaft kennt, sondern eher eine Bewegung als eine Gemeinde ist, stellt sich die Frage, wie stabil diese Strukturen über Jahrzehnte hinweg bleiben können.

Trotz aller Kritik bietet Hillsong aber auch wertvolle Impulse. Die Begeisterungsfähigkeit, die moderne Musik, die Inszenierung – all das zeigt, dass Kirche auch heute noch Menschen ansprechen kann.

"Freikirchliche Gemeinden wie Hillsong entwickeln neue Formen des Gottesdienstes, die sich die traditionellen Kirchen anschauen sollten"

meint Herbst. Doch eine Kirche, die auf Dauer bestehen will, brauche mehr als nur moderne Inszenierung.

Kommentare

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fotobine am Mo, 21.04.2025 - 09:49 Link

Interessanter Bericht über eine neue Bewegung. Die deutsche Kirche sollte sich dabei etwas abschauen. Nicht allein moderne Musikangebote werden gerne angenommen. Erst wenn eine Gemeinde es schafft mehr als eine handvoll von freiwilligen Mitarbeitern zu finden, erst wenn viele Gemeindemitglieder sich in Aufgaben einbringen können, ist es eine Gemeinde. Dazu muss ich nicht mein Privatleben und anderes Engagement vernachlässigen. Ich konnte mich jedenfalls in einer Lutherischen Kirche in Florida in vielen verschiedenen Projekten einbringen und habe dadurch erstmals Kirche als erweiterte Familie erlebt. Nicht nur wurde im Gottesdienst der Friedensgruß ausgetauscht, es gab regelmäßige Treffs verschiedener Gruppen, und gemeinsames Essen für alle Altersgruppen. Besonders toll fand ich als junge Mutter ein monatliches Angebot für Kinder. Ein Abendprogramm, das Eltern auch mal einen freien Abend bescherte. Erst durch diese persönlichen Kontakte wurden Freundschaften möglich, auch eine tiefere Beziehung zur Liebe Gottes. Kirche in Deutschland hat kaum noch eine Willkommenskultur. Stell dir vor du ziehst um und bekommst ein persönliches Willkommen. Eine Einladung zu einem Treff für neue Mitglieder und eine Person, die dir als Ansprechpartner der neuen Gemeinde für die Einführung vermittelt wird! Warum gibt es in Deutschland so viele verschiedene Kirchenorganisationen? Nicht nur in den Gottesdiensten in Städten bleiben wir anonym, auch die Kirche als Organisation bleibt ein Rätsel. Da erscheint ein Kirchentag wie ein Wunder.