Sein Ton und seine Wortwahl haben im Laufe seiner Amtszeit an Dringlichkeit zugenommen, aber das Auffälligste am scheidenden Missbrauchsbeauftragten Johannes-Wilhelm Rörig ist seine Beherrschtheit. Selten äußerte er sich so deutlich wie zum Missbrauchs-Gutachten für das Erzbistum München und Freising.

"Mir hat die beschämende Kaltherzigkeit höchster Kleriker im Umgang mit sexuell missbrauchten Kindern und Jugendlichen beinahe die Sprache verschlagen"

sagte Rörig dem Evangelischen Pressedienst (epd) nach der Veröffentlichung am 20. Januar.

Missbrauchsbeauftragter Johannes-Wilhelm Rörig hört auf

Mehr als zehn Jahre war Rörig Missbrauchsbeauftragter der Bundesregierung, nun hört er auf, wie er am Montag mitteilte. Regulär hätte der 62-Jährige sein Amt noch bis 2024 innegehabt. Es wird nun zunächst kommissarisch von der Arbeitsstableiterin Manuela Stötzel geführt, bevor die Bundesregierung eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger benennt. Das soll zügig geschehen, teilte das Bundesfamilienministerium, wo das Amt angesiedelt ist, mit.

Er habe überlegt, ob er überhaupt in eine dritte Amtszeit gehen solle, sagte er dem epd, nachdem er im Dezember 2020 seinen vorzeitigen Rückzug angekündigt hatte: "Es ist ein herausforderndes Amt."

Sein Motiv: "Leid lindern zu können"

Er entschloss sich weiterzumachen, bis jetzt. Sein Motiv war "Leid lindern zu können". Dabei verstand er sich als Mittler: "Ich will, dass diejenigen, die Missbrauch verhindern können, ihr Maximum tun."

Er verhandelte mit den Spitzenvertretern von Kirchen und Verbänden und stärkte zugleich die Interessenvertretung von Betroffenen durch einen Beirat und eine Aufarbeitungskommission.

Sexuelle Gewalt als "Grundrisiko" einer Kindheit in Deutschland

Sexuelle Gewalt sei ein "Grundrisiko" einer Kindheit in Deutschland, sagte Rörig häufig. Rechnerisch sitzen in jeder Schulklasse ein bis zwei Kinder mit Missbrauchserfahrungen. Im Internet haben Missbrauchsfilme und -bilder Hochkonjunktur - während der Corona-Lockdowns stieg der Konsum in Europa um ein Drittel.

In Rörigs Amtszeit fielen die monströsen Missbrauchsfälle von Staufen, Lügde, Bergisch Gladbach und Münster. Er kritisierte das Versagen der Behörden, sachlich im Ton, hart in der Sache, und forderte Konsequenzen für Verwaltung, Polizei und Justiz.

Der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul (CDU) erwarb sich Rörigs Anerkennung, als er die Verfolgung und Aufklärung der Verbrechen zur Chefsache machte. Eine Ausnahme, so Rörig, dabei hätten die Bundesländer "mit ihren Zuständigkeiten für Jugend, Bildung, Polizei, Justiz und Gesundheit im Kampf gegen Missbrauch den Schlüssel in der Hand".

Vereinbarung mit der evangelischen Kirche steht noch aus

Im Umgang mit den Kirchen, deren Skandale 2010 zur Berufung der ersten Missbrauchsbeauftragten Christine Bergmann geführt hatten, zeigte sich ihr Nachfolger als geduldiger Pragmatiker. Bis Rörig im Juni 2020 mit dem katholischen Bischof Stephan Ackermann eine "Gemeinsame Erklärung" unterschreiben konnte, die den Diözesen die Kontrolle über die Aufarbeitung entziehen soll, hatte er jahrelang verhandeln müssen. Eine ähnliche Vereinbarung mit der evangelischen Kirche steht immer noch aus.

Sein Amt hatte Rörig am 1. Dezember 2011 von Christine Bergmann übernommen, der ehemaligen Bundesfamilienministerin und SPD-Politikerin aus Ostberlin, mit der ihn eine lange Arbeitsbeziehung verbindet. Er leitete Anfang der 1990er Jahre Bergmanns Büro, als sie Berliner Bürgermeisterin und Arbeitssenatorin war. 1998 folgte er ihr als Büroleiter ins Bundesfamilienministerium und blieb dort in leitenden Funktionen, bis er zum Missbrauchsbeauftragten berufen wurde.

Den Koalitionsvertrag bewertet Rörig als "großen Fortschritt"

Angesichts des nicht abnehmenden Ausmaßes sexueller Gewalt gegen Kinder und des Versagens der Kirchen bei der Aufarbeitung ihrer Skandale forderte Rörig stets, die Politik müsse hier wie dort mehr tun. Den Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP bewertete er als "großen Fortschritt". Die Ampel-Koalition will seine Forderung nach einer gesetzlichen Absicherung des Beauftragtenamts erfüllen und hat sich auch verpflichtet, eine unabhängige Aufarbeitung notfalls gesetzlich zu regeln. Das könnte auf eine vom Parlament eingesetzte "Wahrheitskommission" hinauslaufen. Rörig jedenfalls kann hoffen, dass die Politik künftig nicht "nur dann reagiert, wenn es wieder Skandalfälle gibt", wie er einmal recht bitter bemerkte.