Der evangelische Synodale Michael Krah ist der Überzeugung, dass Kirche und Diakonie von "unten" leben müssen - aus der Botschaft des Evangeliums und der Lebenswirklichkeit der Menschen heraus. Im Sonntagsblatt-Interview erklärt er, wie sich die Fehlerkultur innerhalb der Kirche ändern kann.

Was möchten Sie in den nächsten sechs Jahren erreichen mit der Synode?

Für mich ist es wichtig die Weiterentwicklung unserer so ganz unterschiedlichen kirchlichen Wirkungsräume sinnvoll mitzugestalten, mitzubauen und voranzutreiben. Wir dürfen als Kirche – mit der Botschaft des Evangeliums und mit all dem was uns ausmacht - in unserer Gesellschaft sichtbar und erfahrbar sein. Getreu dem Bibelvers: "Siehe das Reich Gottes ist mitten unter euch" (LK 17.21). Augustinus hat das sehr konkret benannt. "Städte und Dörfer bestehen nicht aus Häusern und Straßen, sondern aus Menschen und ihren Hoffnungen". Und der Theologe Jürgen Moltmann hat deutlich gemacht, dass Sozialräume Schöpfungsräume und somit in dieser Hinsicht Entwürfe des Reiches Gottes sind. Jesus war stets in Bewegung und wir als Kirche ebenso. Demnach sind wir doch klar mit einem Auftrag zur Entwicklung, mit dem Blick auf das Kommende ("Heilszusage") konfrontiert.

Es ist mir sehr wichtig, einfühlsam und vor allem realitätsbezogen in die Lebenswirklichkeit der Menschen, Generationen, Sozialräume, wie auch unterschiedlichen Berufsgruppen unserer Kirche und Diakonie hineinzuwirken.

Damit wir uns als Kirche und Diakonie mit kreativem Mut weiterentwickeln. Dabei gilt es aber auch gut auf die Balance zwischen Verkündigung, Ökonomie und den Auftrag des kirchlich-diakonischen Handelns zu achten. Dies ist meiner Meinung nach gut möglich, wenn wir einen offenen und zielgerichteten Umgang pflegen. Dies ist gerade auch im Bewusstsein für ein gutes und wertschöpfendes Miteinander der Berufsgruppen und in Beziehung zu den vielen Ehrenamtlichen wichtig.

Woran mangelt es in der Organisation Kirche am meisten?

Manchmal am Mut für eine mutige und transparente Fehlerkultur. Als Kirche brauchen wir kein Prinzp der Fehler- und Streitvermeidung und keine Streitkultur die von einer hirarchischen Ordnung und Kategorisierung geprägt ist. Die Zauberworte heißen hier für mich: wertschöpfendes Miteinander und Füreinander mit einem quäntchen Humor im Hinterkopf. Streiten und ringen um Lösungen, damit wir unsere Zukunft wertschätzend und sachbezogen gestalten und auf den Weg bringen. Weg von einer personenbezogenen Ebene.

Als Kirche brauchen wir innovative Ideen und Mut für eine sinnvolle Fehlerkultur und dem Drang neue Wege auszuprobieren. Wir müssen in den sozialen Räumen und so unterschiedlichen Gemeinwesen an Bedeutung gewinnen. Kein "Unternehmen", sag ich mal flapsig, hat so viele Filialen mit (auch) unterschiedlichen Prägungen zur Verfügung wie wir als Kirche. Nutzen wir sie doch und nutzen wir unsere Unterschiede und bereichern wir dadurch unser kirchliches Leben. Wir dürfen viel mehr in Räumen und Netzwerken denken als in Grenzen von Kirchenmauern. Gerade auch im Bereich der Umsetzung der Landesstellenplanung müssen und dürfen wir Netzwerke und Kooperationen neu denken und ausprobieren.

Krah: Kirche darf politisch sein und Position beziehen

Welche Themen möchten Sie in der Landessynode besonders fördern?

Die Wahrnehmung, das Selbstverständnis und die Handlungsfreiheit der Landessynode ist mir ein wichtiges Anliegen. Als Synodale/r muss mir/uns, wie auch der gesamten Leitung unserer Landeskirche bewusst sein, dass Kirche und Diakonie nicht "oben" lebt, sondern UNTEN, aus der Botschaft des Evangeliums und Lebenswirklichkeit der Menschen heraus, für die wir Kirche mitgestalten dürfen.

Kirche darf meines Erachtens politisch sein. Sie darf Position beziehen und muss noch mehr zu gesellschaftlichen Themen, gerade auch in der medialen Präsenz wahrnehmbar sein. Ich meine hier nicht wie im Taktieren und Ränkespiel politischer Parteien, sondern auf Grundlage unserer gesellschaftlichen Mitverantwortung und aus den Werten unseres christlichen Glaubens heraus.

Orientierungspunkte zum einen und zum anderen um Denkanstöße für eine thematische Auseinandersetzung zu aktuellen, wie auch allgemeinen gesellschaftlichen und kirchlichen Themen anzuregen, wie etwa Bildung, Umgang mit Schöpfung, soziale Ungerechtigkeit, assistierter Suizid, Radikalisierung und Extremismus. Hier stelle ich mir eine zentrale Frage als herausfordernde Motivation: Wie lange können wir als Kirche "überleben", wenn die meisten Mitglieder, die sie finanziell tragen, eventuell keinerlei Nutzen in ihrer Tätigkeit mehr erkennen?

Um unsere Zukunft als Kirche positiv, aktuell und zielgerichtet gestalten zu können, brauchen wir auch den Blick auf unsere Kinder und Jugendlichen. Sie sind die Zukunft und wir haben daher die Verantwortung dafür, dass auch sie Zukunft leben und weiter gestalten können. Das tätige und handelnde Wort erfahrbar und sinnstiftend für sie in ihrer Realität und ihren Bedürfnissen erleb- und spürbar zumachen. Das geht nur, wenn wir hier sinnvoll investieren, zeitlich, finanziell und mit dem Blick auf unsere soziale Mitverantwortung.

Wie bewerten Sie das Thema "Digitalisierung" im Bereich von Kirche und Diakonie?

Die zurückliegende Zeit der Pandemielage (und noch wissen wir nicht,was noch folgen kann) hat klar aufgezeigt, dass wir deutlich zulegen und fördern müssen. Vieles ist jetzt ganz schnell entstanden und wir konnten erfahren, wie hilfreich digitale Wege sein können, wie Kontakte gehalten oder sogar erweitert werden konnten. Bei allen positiven Erfahrungen gilt es darauf zu achten, dass wir auch die Menschen und Gruppen im Fokus behalten, die über keine digitalen Möglichkeiten verfügen, damit überfordert sind. Auch hier brauchen wir kreative Ideen. Die Steuerungsgruppe des Digitalisierungsprozesses unserer bayerischen Landeskirche hat hier eine große Aufgabe zu meistern.

Damit dies gut gelingen kann, wird ein guter Fahrplan und die Ausstattung mit den nötigen Mitteln notwendig sein. Digitalisierung gibt es nicht für lau. Zudem sehe ich es als notwendig an, dass dafür Sorge getragen wird, die Haupt- und Ehrenamtlichen so technisch auszustatten und zu befähigen, damit sie mit den digitalen Anforderungen auch zurechtkommen. Leider ist es in unserem Land so, dass nicht überall eine stabile und gute Internetverbindung vorhanden ist. Da ist es dann mit einer guten Ausstattung auch nicht getan.