Manchen Angehörigen von Seniorenheim-Bewohnern ist gerade sehr schwer ums Herz. Das Besuchsverbot macht den Kontakt zu ihren Lieben kompliziert. Aber auch Altenheimseelsorgerinnen und -seelsorger müssen mit der Situation umgehen.

Die Pfarrerinnen Sonja Dietel und Julia Arnold arbeiten in mehreren Nürnberger Heimen und haben im Gespräch mit Sonntagsblatt.de von ihren Erfahrungen berichtet.

Welche Stimmung erleben Sie derzeit überwiegend bei den Bewohnern, die sie betreuen?

Sonja Dietel: Im Moment mache ich in den Heimen keine Besuche. Aber mit einigen Bewohnerinnen und Bewohnern telefoniere ich. Da ist die Stimmung ganz unterschiedlich. Manche sind guter Dinge und sagen: Mir fehlt nichts, mir geht es gut! Und andere sind schon sehr traurig und richtig verzweifelt. Ab und zu telefonieren ist eben doch nicht dasselbe, wie die Tochter in den Arm nehmen, im Stadtpark den Duft der Bäume riechen und mit der Nichte einen Kaffee trinken?

Julia Arnold: Die meisten, die ich spreche, sagen: Wir haben schon schlimmeres durchgemacht. Und ich erlebe ganz viel Hilfsbereitschaft. Eine Dame, die im betreuten Wohnbereich lebt, ruft jeden Tag eine ehemalige Zimmernachbarin an, die mittlerweile auf der Pflegestation lebt. Andere nähen Masken. Eine sehr engagierte Bewohnerin hat einen Rundbrief an ihren Malkreis geschrieben und so ist eine ganze Mappe mit Regenbogenbildern zusammengekommen, die wir in der Kirche ausstellen wollen als Zeichen der Hoffnung, dass Gott seine Schöpfung liebt.

Wie und mit welchen Mitteln können Sie derzeit noch Bewohner der Einrichtungen besuchen?

Julia Arnold: Besuche sind leider nicht möglich. Ich telefoniere viel mit den Bewohnerinnen und Bewohnern. Letzte Woche hat mir ein Mann, der 91 Jahre ist und erst seit ein paar Monaten in der Einrichtung wohnt, sein ganzes Leben erzählt. Auch, dass er zwei Jahre lang keine Schule besuchen konnte, wegen des Kriegs. Er war sehr gelassen. Wenn ich aber an die Menschen auf der Pflegestation denken, die nicht mehr telefonieren können, dann werde ich sehr traurig.

In welcher Stimmung erleben Sie die Angehörigen, die Ihre Väter, Mütter, Großeltern oder Tante nicht mehr besuchen können? Wie können Sie trösten?

Sonja Dietel: Für Angehörige ist das im Moment auch eine sehr schwere und wirklich harte Zeit. Man ist draußen und kann kaum etwas für den Angehörigen im Heim tun. Und man macht sich Sorgen. Manchmal ist ja auch klar, dass nicht mehr viel Zeit bleibt.

Ich erlebe viele Angehörige sehr kreativ - manche schicken Fotocollagen der Familie ins Heim, bringen Blumen oder Briefe vorbei, rufen an, schicken Sprachnachrichten oder stehen zu einer verabredeten Zeit vor dem Haus und winken.

Wir haben in der Reformations-Gedächtnis-Kirche einen Gebetskasten aufgestellt. Dort werden auch Gebetsanliegen für die Menschen in den Heimen eingeworfen. Und von einigen Bewohnerinnen und Bewohnern bekomme ich über die Heime auch Gebete geschickt. Am Sonntag werden die Gebete in der Kirche vor Gott gebracht. Das ist sehr berührend und man merkt: Das Gebet kann eine tiefe Verbindung sein - über alle Mauern hinweg. Angehörige in dieser Situation trösten, kann man das überhaupt? Ich erlebe, dass es ein großer Trost sein kann, wenn da jemand ist, der den Schmerz mit mir zusammen aushält. Das sehe ich als meine Aufgabe in dieser Zeit.

Wie erleben Sie das Pflegepersonal? Steht es zwischen allen Stühlen oder wacht es mit Argus-Augen über die Bewohner?

Sonja Dietel: Vor den Menschen, die in den Heimen arbeiten, habe ich sehr großen Respekt. Ich erlebe sie in dieser schweren und chaotischen Zeit sehr besonnen - und liebevoll gegenüber den Bewohnern. Gerade mit den Leuten der sozialen Betreuung bin ich immer wieder in Kontakt und denke oft: Sind das tolle und engagierte Menschen! Man spürt richtig, wie sie mit den Bewohnerinnen und Bewohnern mitfühlen und dass die ihnen ans Herz gewachsen sind.

Julia Arnold: Die pflegerischen Tätigkeiten auszuführen, ist an sich schon körperlich sehr anstrengend. Mit noch mehr Hygieneauflagen und den Masken im Gesicht ist die Pflege unglaublich Kräfte zehrend. Gut, wenn das in der Gesellschaft und auch von Politikern wahrgenommen wird.

Wie sehen Sie sich und Ihre Arbeit selbst - auch zwischen allen Stühlen und zusätzlich noch mit den Bedenken, dass man ja nicht den Virus in die Einrichtung bringt?

Sonja Dietel: Mit allen Heimen auf unserem Gemeindegebiet bin ich in engem Kontakt und wir haben klare Absprachen. Ich teile das Anliegen, das Virus nicht in das Heim zu bringen und die Bewohnerinnen zu schützen. Aber natürlich ist das so kein Dauerzustand. Zur Kirche gehört einfach der Kontakt und die Gemeinschaft - gerade im Altenheim.

Julia Arnold: Wie es mir geht, zeigt ein Erlebnis ganz gut. Von der Kirchengemeinde aus gab es die Einladung, gemeinsam vom Balkon aus das älteste Osterlied Christ ist erstanden zu singen. Mit Liedblättern habe ich alle Bewohnern eingeladen, mitzusingen. Auch die Menschen auf den Pflegeabteilungen. Dann habe ich mich mit sangesfreudige Damen aus dem Heim an die geöffnete Gangtüren gestellt, um die Pflegebedürftigen zum Mitsingen zu motivieren und zu unterstützen. Die Pflegekräfte der einen Station haben sich die Mühe gemacht und Bewohnerinnen, meist im Rollstuhl, auf den Gang gefahren. Und da saßen sie nun. Ganz blass und mit großen Augen. Und da habe ich einen solchen Knoten im Hals bekommen, dass ich fast nicht singen konnte.

Am liebsten wäre ich einfach zu ihnen hingegangen und hätte sie umarmt.

Aber ich dachte mir, reiß dich jetzt zusammen und so konnte ich die Tränen unterdrücken. Und als wir zu Ende gesungen hatte, wollten sie alle noch einmal von vorne singen. Und am Schluss haben wir den Pflegekräften Beifall gespendet und ein bisschen auch uns selbst.

Wie können Sie Gottesdienste feiern?

Sonja Dietel: In den Altenheimen, in denen ich arbeite, konnte ich in den letzten Wochen keine Gottesdienste feiern. In den Ostertagen waren eigentlich vier Gottesdienste geplant. Stattdessen habe ich eine Osterandacht geschrieben und sie zusammen mit einem Bild an die Heime geschickt. Dort wurde die Andacht dann ausgeteilt oder auch vorgelesen. Ein Heim hat intern Gottesdienst gefeiert und die Andacht dabei über die Hausanlage verlesen. Das war natürlich super, so konnten es alle hören.

Julia Arnold: In dem einen sehr großen Heim, das ich als evangelische Pfarrerin betreuen darf, werden alle Gottesdienste per Video über den Hauskanal übertragen, auch in die Pflegezimmer. Seit des Versammlungsverbots feiere ich so mit der Hausgemeinschaft einmal pro Woche einen Gottesdienst. Wir singen bekannte Kirchenlieder und unser Organist begleitet uns. Nächste Woche sind die Regenbogen Thema, die die Bewohnerinnen gemalt haben. Der Regenbogen ist ein Zeichen: Gott hängt am Ende der Arche Noah Geschichte seinen Bogen in die Wolken, weil er auf uns zählt und zu uns hält.