"Wer einmal erlebt hat, wie sein Kind nach Luft schnappt und nicht mehr selbstständig atmen kann, vergisst das nie wieder", sagt Paula ernst. Ihren echten Namen möchte sie nicht nennen. Aus Angst vor Querdenkern. Seit vergangenem Sommer engagiert sich die zweifache Mutter aus Baden-Württemberg ehrenamtlich bei der U-12-Schutz Initiative (www.u12schutz.de), die sich für Corona-Impfungen bei Kindern einsetzt.

 

Und das bereits Monate bevor es eine Zulassung durch die europäische Arzneimittelbehörde EMA für einen Corona-Impfstoff bei Kindern und Jugendlichen gab. Doch wie Paula gibt es immer mehr Eltern, die ihrem Kind den bestmöglichen Schutz vor Corona ermöglichen wollen, auch wenn dieser Off-Label geimpft wird. Ein so genannter zulassungsüberschreitender Einsatz von Arzneimitteln außerhalb der genehmigten Anwendungsgebiete. Seit Dezember werden nun, nach Zulassung durch die EMA, Kinder zwischen fünf und elf Jahren geimpft.

Da die über Fünfjährigen mittlerweile großflächig geimpft werden, konzentriert sich die Initiative nun auf Off-Label-Impfungen bei unter fünf Jahre alten Kindern. Die Nachfrage ist da. Besonders in Bundesländern mit hoher Inzidenz. "Das konnte man zunächst gut in Hamburg und Berlin sehen. Allerdings ist es natürlich zu spät, mit dem Impfen dann erst anzufangen," betont Paula.

Darum setzt sich die zweifache Mutter dafür ein, dem Projekt U-12-Schutz mehr Aufmerksamkeit zu geben. "Wir arbeiten alle ehrenamtlich, neben unseren normalen Jobs. Aber das ist es uns auf jeden Fall wert." Im Kern arbeiten rund 20 Ehrenamtliche bei U-12-Schutz, die sich über Twitter und Facebook im letzten Sommer zusammengefunden haben. Alles Eltern vorerkrankter Kinder, auf der Suche nach Ärzten, die eine Corona-Schutzimpfung bei den Kleinsten der Gesellschaft durchführen. In Deutschland wurden bisher ungefähr 40.000 Off-Label-Impfungen durchgeführt. Die Initiative U-12-Schutz unterstützt Familien bei der Suche nach einer Praxis.

Initiative U-12-Schutz: Off-Label Impfung

Mittlerweile gibt es eine Vielzahl an Ärzten aus ganz Deutschland, die Off-Label impfen. Was übrigens in keinem Widerspruch zur aktuellen Fassung der Coronavirus-Impfverordnung (CoronaImpfV) steht. "Darin ist festgehalten, dass die Verabreichung des Impfstoffs außerhalb der Zulassung möglich ist, wenn sie nach dem Stand der Wissenschaft medizinische vertretbar ist. Dieser ist keineswegs mit dem gleichzusetzen, was die Stiko empfiehlt", erklärt Rechtsexperte Matthias Klein, der U-12-Schutz juristisch berät.

Wenn Jugendliche sich impfen lassen wollen

Seit kurzem ist U-12-Schutz nicht nur Ansprechpartner bei Kleinkindern, sondern auch für Jugendliche. Am 7. Januar ging eine recht ungewöhnliche Anfrage ein, die auf eine neue Thematik aufmerksam gemacht hat. "Ein 15-Jähriger hat uns über Twitter angeschrieben, ob wir Orte kennen, an denen er sich auch ohne Einwilligung der Eltern impfen lassen könne." Anfangs war man sich unsicher, wie ernst die Anfrage gemeint war. Aber es stellte sich schnell heraus, wie ernst.

So werden in einigen Impfzentren Jugendliche wieder nachhause geschickt, wenn Sie ohne ihre Eltern zum Impfen kommen. Ob es dieses Problem deutschlandweit gibt, lässt sich nur schwer überprüfen. Fest steht aber, dass sich die Anfragen von Jugendlichen vor allem aus Sachsen und Sachsen-Anhalt mehren. Anwalt Matthias Klein stellt klar: "In letzter Zeit fragen einige: ‚Wo kann ich mich impfen lassen? Ich bin im Impfzentrum weggeschickt worden." Der Fachanwalt für Medizin- und Strafrecht aus Karlsruhe betont, dass Jugendliche in der Regel selbst darüber entscheiden dürfen, ob sie geimpft werden.

Denn bei einer normalen Entwicklung gehen Experten davon aus, dass bei Jugendlichen ab dem Alter von 14 Jahren eine wirksame Einwilligung erfolgen kann. Eigentlich braucht ein Jugendlicher oder eine Jugendliche zum Abschluss eines medizinischen Behandlungsvertrages grundsätzlich die Zustimmung oder Genehmigung der oder des Sorgeberechtigten.

"Das gilt aber nicht, soweit dieser Vertrag nicht ausschließlich rechtlich vorteilhaft ist, was für die kostenfreie COVID-19-Impfung gilt. Prinzipiell darf in Deutschland jeder die Corona-Impfung, die eine vom Staat organisierte Schutzimpfung ist, in Anspruch nehmen, der einwilligungsfähig ist", erläutert Matthias Klein.

Die sogenannte Einwilligungsfähigkeit kann und muss ein Arzt in einem Gespräch feststellen. "Das heißt, der oder die Jugendliche muss sich der Bedeutung und Tragweite des beabsichtigten Eingriffs im Klaren sein und dessen Nutzen und Risiken abwägen können. Ist dies der Fall, spricht absolut nichts gegen eine Impfung," so der Rechtsexperte. Selbstverständlich gelte die ärztliche Schweigepflicht, sodass Jugendliche keinen Grund zur Sorge haben müssen. "Das Verhältnis des jugendlichen, einwilligungsfähigen Patienten zum Arzt ist absolut geschützt." Wer dennoch Angst hat zum selben Hausarzt zu gehen, wie seine Eltern, für den wird durch die U-12-Schutz-Initiative ein Arzt in seiner unmittelbaren Umgebung gesucht.

Doch bis hierhin ist es ein weiter Weg. Viele Jugendliche wissen nämlich nichts von ihrem Recht auf eine Impfung. Die Problematik betreffe auch nicht nur Kinder von Querdenker-Eltern, sagt Paula. "Wenn die Eltern getrennt leben, benötigen sie in vielen Fällen das Einverständnis beider Eltern. Wenn zwischen den Eltern ein Rosenkrieg ausgetragen wird, ist es für Jugendliche oft nicht möglich, ihr Recht anzusprechen und das Einverständnis beider Eltern zu bekommen."

Eine Überlegung wäre, in der Schule im Rahmen des Gemeinschaftskundeunterrichts darüber aufzuklären, so die engagierte Mutter. Ihr älterer Sohn, der 15 Jahre alt ist, wurde übrigens am ersten Tag, an dem eine Impfung bei Teenagern möglich war, geimpft. "Mein Sohn war ganz überrascht, als er selbst für seine Impfung unterschreiben durfte, nachdem die Ärztin im Impfzentrum ihn über alles aufgeklärt hat – ohne mich. Sie wollte das so und ich finde das gut, schließlich ist es sein Körper."

Eine allgemeine Empfehlung für Lehrer gebe es nicht, wie Stefan Düll, stellvertretender Vorsitzender des Deutschen Philologenverbands erklärt. Er selbst hat das Thema Einwilligungsfähigkeit mit Schülern besprochen, das sei aber jedem Pädagogen selbst überlassen. "Aus meiner Erfahrung kann ich sagen, dass die Impfquote bei Jugendlichen ab 14 Jahren hoch ist." Besonders die älteren Schüler, denen das Impf-Angebot schon länger zur Verfügung stehe, seien zum größten Teil geimpft. Bei den Jüngeren werde man dies erst sehen, da der vollständige Impfschutz ja erst nach der zweiten Impfung gelte. Er selbst habe noch von keinem Jugendlichen gehört, der trotz Wunsch nicht geimpft wurde, so der Schulleiter des Justus-von-Liebig-Gymnasiums in Neusäß im Landkreis Augsburg. Allerdings könne er sich vorstellen, dass Jugendliche, die ohne ihre Eltern ein Impfzentrum aufsuchen, wieder nachhause geschickt werden. Schließlich sei das ein sehr sensibles Thema und müsse vom medizinischen Personal abgewogen werden.

Ärzte und Impfzentren handeln aber nicht nur unangemessen, wenn sie Kinder und Jugendliche wieder wegschicken, sondern machen sich, juristisch gesehen, auch angreifbar. "Aus meiner Sicht wäre dies in jeglicher Form strafbar wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung", so Klein. Zudem wäre es behandlungsfehlerhaft.

Harte Worte, die der Anwalt für Medizinrecht näher erläutert: "Sollte sich der Jugendliche, nachdem er vom Arzt oder dem Impfzentrum weggeschickt wurde, auf dem Nachhauseweg im Bus mit Corona anstecken, müsste die Staatsanwaltschaft gegen den Arzt oder das Personal im Impfzentrum ermitteln, da sie die Infektion unter diesen Umständen billigend in Kauf genommen hätten."

Es muss also dringend ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, dass Jugendliche sich auch ohne Einwilligung der Eltern impfen lassen dürfen. Ein wichtiges Thema, dass auch die Politik aufgreift. Auch wenn es auf der Website des Bundesgesundheitsministeriums in Berlin heißt, dass Jugendliche, "wenn sie die erforderliche Einwilligungsfähigkeit besitzen" selbst über eine COVID-19-Impfung entscheiden dürfen, ist dies in der Praxis noch nicht überall angekommen. Darum setzt sich die Landtagsabgeordnete Susan Sziborra-Seidlitz (Bündnis 90/Die Grünen) aus Sachsen-Anhalt für eine flächendeckende Aufklärung ein. "Wir müssen in Sachsen-Anhalt ein niederschwelliges Impfangebot schaffen. Niederschwellig bedeutet, die Impfung für alle die wollen zugänglich zu machen. Das gilt auch für Jugendliche, die im medizinrechtlichen Sinne einwilligungsfähig sind", erklärt die Grünen-Politikerin. Darum will die Sprecherin für Soziales und Gesundheit dieses Thema in der nächsten Sitzung des Sozialausschusses des Landtags einbringen.

Impfangebot für Jugendliche

Auch der Rechtsexperte Matthias Klein würde sich wünschen, dass die Politik das macht, wozu sie da ist: Aufklären und Handeln. Stattdessen sorge sogar Gesundheitsminister Karl Lauterbach durch juristisch fehlerhafte Verlautbarungen gegenüber der Presse für große Unsicherheit bei impfwilligen Ärztinnen und Ärzten. Die Kassenärztlichen Vereinigungen und Verbände würden dies teils ungeprüft übernehmen.

Ein gefährliches Lauffeuer von Missverständnissen sei entfacht und sorge bei Eltern für große Unsicherheit. Im Auftrag von U-12-Schutz hat der Medizinrechtsexperte daher bereits im Dezember einen Brief an Lauterbach geschrieben und bis heute keine Antwort erhalten. Für Klein steht fest: Die Corona-Schutzimpfung ist eine Staatsimpfung ohne Wenn und Aber und vor allem ohne Altersbeschränkung. Konkret bedeutet dies, dass man im unwahrscheinlichen Falle eines Impfschadens einfach einen Antrag auf Versorgung bei der zuständigen Landesbehörde stellen kann und nicht vor Gericht ziehen muss.