Cigdem Deniz hat es ausprobiert. Sie hat sich einen langen Rock angezogen und ein Kopftuch umgebunden. "Die Menschen haben anders auf mich reagiert", sagt die Vorsitzende des Aschaffenburger Vereins "Migranten für Migranten".
Andere sprachen auf einmal sehr laut mit ihr, hat die Heilpraktikerin im Bereich Psychotherapie festgestellt, die derzeit ein Fernstudium in Soziologie belegt. Immer noch sei für viele das Kopftuch Symbol dafür, dass eine Frau kein Studium und keinen Beruf habe und von ihrem Mann unterdrückt werde, sagt Deniz. "Ich bin stark, mich kann man nicht so leicht verletzen, andere, die die Sprache nicht beherrschen, schon".
Deniz hat durch ihren Verein und die Mitarbeit im Aschaffenburger Integrationsrat reichlich Erfahrung im Kampf gegen Diskriminierung. Jetzt nimmt sie an einem Kurs der Arbeitsgemeinschaft der Ausländer-, Migranten- und Integrationsbeiräte Bayerns (AGABY) teil, wird eine "Sprecherin gegen Diskriminierung".
Projekt: "Aktiv(ierend)e Antidiskriminierungsarbeit in Bayern"
"Wir alle haben Vorurteile und denken in Schubladen", sagt Naoufel Hafsa, der ebenfalls "Sprecher gegen Diskriminierung" werden will. Der Würzburger Integrationsrat mit Wurzeln in Tunesien, Frankreich und Deutschland, will solche Gedankenprozesse verstehen und Mitmenschen dafür sensibilisieren, dass alle gleichwertig sind, sagt er.
30 erste Teilnehmerinnen und Teilnehmer lernen seit diesem Jahr im Projekt "Aktiv(ierend)e Antidiskriminierungsarbeit in Bayern". Alle sind ehrenamtliche Mitglieder in 18 der 33 Integrationsbeiräte in bayerischen Städten und Landkreisen. "Integrationsbeiräte sind das Modellbeispiel für die diverse Gesellschaft", stellt Mitra Sharifi Neystanak, die Vorsitzende der AGABY, fest. Und sie seien oft Anlaufstelle für Menschen, die diskriminiert wurden.
Drei der späteren Antidiskriminierungs-Sprecherinnen und -sprecher hätten keinen Migrationshintergrund, 27 haben ausländische Wurzeln, sagt der pädagogische Leiter der Ausbildung, Eric Mbarga, "wir setzen auf die unterschiedlichen Perspektiven". Nicht jeder Migrant habe Diskriminierungserfahrung, andere wiederum hätten Diskriminierung auch als Frau erfahren.
Cigdem Deniz: Diskriminierung im Alltag
"Woher kommst du wirklich?" Es ist sind solche, oft kleine, oft nicht böse gemeinte Fragen oder Verhaltensmuster, die Menschen mit anderer Hautfarbe oder nicht-deutschem Namen das Gefühl geben, dass sie nicht dazu gehören, erklärt Mitra Sharifi. "Gerade zugewanderte Menschen machen im Alltag Ausgrenzungs-, Diskriminierungs- oder Gewalterfahrungen," betont sie.
Die Zahl der Beratungsfälle bei fünf kommunalen Antidiskriminierungsstellen steigt jedes Jahr. Die erste kommunale Anlaufstelle für solche Fragen in Nürnberg verzeichnete 129 Anfragen im Jahr 2011, mittlerweile seien es jährlich etwa 220 Fälle, sagt die Beauftragte für Diskriminierungsfragen, Christine Burmann. Der Blick in ihre Statistik zeigt, Benachteiligung erlebten die Betroffenen zum Beispiel bei der Wohnungs- und Arbeitsplatzsuche, im Freizeitbereich, aber auch im Umgang mit Behörden und Ämtern.
"Vielerorts werden Menschen mit diesen Erfahrungen alleingelassen, weil keine Anlaufstellen vor Ort da sind", erklärt Sharifi. Es seien deshalb Menschen nötig, "die gedankenlose bewusste und unbewusste diskriminierende Verhaltensweisen und Strukturen sichtbar machen, und Betroffene unterstützen". Sie sollen auch "Diskriminierungen oder rassistische Tendenzen sichtbar machen oder in bestimmten Fällen auch dagegen einschreiten".
Argumentationsstrategien trainieren
"Ansprechen, Aussprechen, Mitsprechen" - so lauten die Slogans für die drei Module, in die sich die Schulung gliedert, erklärt Eric Mbarga, pädagogischer Leiter des Projekts. Die Teilnehmenden lernen beispielsweise rechtliche Grundlagen und Argumentationsstrategien kennen und erarbeiten sich, wie sie politische Arbeit gegen Diskriminierung effektiver mitgestalten können. Mbarga ist überzeugt, dass der Kurs ein Beitrag zur Verteidigung der Demokratie für alle ist. "Es schwächt eine Gesellschaft, wenn sich historisch betrachtet schwächere Mitglieder einer Gesellschaft nicht angenommen und als Teil dieser fühlen."
"Viele Menschen, die Angriffe erleben, fühlen sich machtlos, haben Angst und wissen nicht wie sie sich zur Wehr setzen oder politisch etwas verändern können", sagt Sharifi. Seit Jahren fordere daher AGABY von der Politik langfristige Strukturen gegen Rassismus und rechtsextreme Gewalt. Es müsse eine unabhängige Antidiskriminierungsstelle auf Landesebene geschaffen werden.
Große Bedeutung von Anlaufstellen
"Ohne Anlaufstellen bleiben viele Betroffene in einer Art Opferrolle stecken", sagt sie. Die jetzt begonnen Ausbildung, im Rahmen des Programms "Demokratie leben" und vom bayerischen Innenministerium finanziell unterstützt, könne das nicht ersetzen.
"Wir fangen jetzt mit unseren Leuten an, aber wir sehen überall den Bedarf für Antidiskriminierungsstellen", sagt die Bamberger Universitätslektorin. Diskriminierung und Rassismus seien Themen, die nachhaltig bearbeitet werden müssten, fügt Sharifi an, "um die Menschen gegen dieses Gift zu immunisieren". Es sei "mindestens so gefährlich wie Corona".