Zugleich ist der Gottesdienst Höhepunkt des 50. Ökumenischen Studienkurses, zu dem die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern (ELKB) seit 1967 jedes Jahr Kirchenvertreter aus bis zu 40 christlichen Kirchen Europas einlädt. Bei dem zehntägigen Kurs entstehe "Ökumene durch Begegnung und europäische Versöhnung", sagte Rainer Brandt, Leiter des Studienzentrums Josefstal,  dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Ziel des Kurses sei, dass die Teilnehmer Kontakte knüpfen und Berührungsängste verlieren. "Oft entstehen Freundschaften – dann besucht der finnische Teilnehmer später den Serben", sagte Brandt. Bei Besuchen in den Partnerländern hat der Pfarrer erlebt, dass ehemalige Studienkursteilnehmer ökumenische Netzwerke aufbauen. "Das würden sie nicht tun, ohne die Erfahrung der persönlichen Begegnung", ist der Theologe überzeugt. Gerade das Verhältnis zu den orthodoxen Kirchen habe sich in den letzten 15 Jahren deutlich entspannt.

Vertreter von 27 Kirchen aus 15 Ländern

Die Bedeutung der Arbeit in Josefstal für die Verständigung in Europa betont Oberkirchenrat Michael Martin, bei der Landeskirche für Ökumene zuständig. "Indem die Kirchen miteinander im Gespräch bleiben, leisten sie einen Beitrag für ein gemeinsames Europa", sagte Martin im epd-Interview. Er sei überzeugt, dass die Kirchen einen Beitrag zur Verständigung leisten könnten: "Sie können Politik nicht ersetzen. Sie können aber der Humus sein für die Verständigung der Menschen miteinander."

Die Frage der Versöhnungstehe bei den Kursen immer im Mittelpunkt. "Wenn eine Ukrainerin unter Tränen aus ihrem Land berichtet, und der russische Teilnehmer hört auch zu, dann verändert sich etwas", erzählt Brandt. Versöhnungsarbeit lebe davon, dass Menschen "ins Gesicht des anderen schauen".

Zum Festgottesdienst am Sonntag werden orthodoxe und evangelische Bischöfe aus der Slowakei, Polen, Tschechien, Rumänien und Lettland erwartet. Die Predigt hält der Vorsitzende der deutschen, Oberkirchenrat Oliver Schuegraf. Am diesjährigen Studienkurs nehmen Vertreter von 27 verschiedenen evangelischen und orthodoxen Kirchen aus 15 nord- und osteuropäischen Ländern teil. Der einzige Vertreter der Katholiken kommt aus Ungarn. Finanziert wird der Kurs von der bayerischen Landeskirche.

Nagelkreuzgemeinschaft von Coventry

DIE GESCHICHTE der Nagelkreuzgemeinschaft begann am 14. November 1940: Bei der "Operation Mondscheinsonate" zerbombte die deutsche Luftwaffe die englische Kleinstadt Coventry. 550 Menschen starben, die Innenstadt und die spätmittelalterliche St. Michael´s Kathedrale waren zerstört. Deren Domprobst Richard Howard rief an Weihnachten bei einer landesweiten Rundfunkansprache aus der Kirchenruine dazu auf, nicht Rache, sondern Versöhnung zu üben. Als Zeichen dafür ließ er drei Zimmermannsnägel aus dem ausgebrannten Dachstuhl der Kathedrale zu einem Kreuz schmieden: dem "Cross-of-Nails", zu Deutsch Nagelkreuz.

EINE KOPIE dieses Nagelkreuzes wurde schon kurz nach Kriegsende an die Nikolaikirche in Kiel überreicht; in den 1960er-Jahren folgten deutsche Städte wie Münster, Hamburg, Berlin – und 1967 das oberbayerische Josefstal. Den Gedanken einer weltweiten Nagelkreuzgemeinschaft entwickelte Bill Williams, Domprobst von Coventry 1958-1981. Heute gehören der Gemeinschaft in Deutschland 62 Zentren an; weltweit sind es über 160, z. B. in Bosnien-Herzegowina, Kuba, Jordanien oder dem Sudan.

DIE NAGELKREUZGEMEINSCHAFT von Coventry versteht sich als internationales Netzwerk für Frieden und Versöhnung. Durch ihre Versöhnungsarbeit wollen die Gemeinden Wunden der Geschichte heilen, die Vielfalt der Kulturen betonen und Friedensarbeit leisten. Als Zeichen der Verbundenheit wird in den Nagelkreuzzentren jeden Freitag um 12 Uhr das Versöhnungsgebet von Coventry gebetet. Im Mittelpunkt stehen die Worte "Vater vergib", die Domprobst Richard Howard in die Chorwand der zerstörten Kathedrale meißeln ließ.