In Bayern überschlugen sich am 7. Und 8. November 1918 die Ereignisse: Der Sozialist Kurt Eisner rief im Mathäser Bräu die Republik aus mit den Worten "Die Dynastie Wittelsbach ist abgesetzt! Bayern ist fortan ein Freistaat". Der amtierende König Ludwig III. dankte ab und floh in einer Nacht-und-Nebel-Aktion im Auto an den Chiemsee.

Mit dem entschwundenen König war der noch junge evangelische Kirche in Bayern von einem Tag auf den anderen ihre Leitungsfigur abhandengekommen.

Denn der – streng katholische! – König war als "Summepiskopus" als höchster Bischof, qua Amt auch Oberhaupt und letzte Instanz der Protestanten in seinem Reich. Die Kirche hatte zwar für ihre Angelegenheiten eine Behörde, das "Oberkonsistorium" mit einem Präsidenten, war jedoch eine "Allerhöchste Entschließung" des Königs. Die Herrscher selbst standen ihren evangelischen Untertanen neutral, distanziert oder sogar in offener Ablehnung gegenüber. Aber zumindest indirekt hatten sie die noch junge protestantische Kirche befördert – durch ihre evangelischen Frauen.

Friderike Wilhelmine Karoline (1776–1841) eine badische Prinzessin, brachte ihren eigenen evangelischen Hofprediger Ludwig Friedrich Schmidt nach München mit. Ihre Nachfolgerin Therese von Sachsen-Hildburghausen (1792–1854) hatte eine soziale Ader und förderte die Arbeit der "Kleinkinderbewahranstalten". Auch Hohenzollernprinzessin Marie Friederike von Preußen (1825–1889) war eine tatkräftige Förderin der Evangelischen. Bis heute erinnert die Wiesn an die evangelischen Königinnen. Denn Therese ist Namensgeberin der "Theresienwiese", auf der zu ihrer Hochzeit ein fünftägiges Fest mit Pferderennen veranstaltet wurde.

Hofprediger Schmidt erster evangelischer Gottesdienst München
Hofprediger Schmidt hielt den ersten evanglischen Gottesdient in München.

Die Evangelischen waren jedenfalls zuerst gar nicht glücklich über ihre neue Freiheit, sondern reagierten wie der  Konsistoriums-Präsident Friedrich Veith mit "Bestürzung und Trauer". Denn die linksgestrickte neue Räteregierung mit ihren Bestrebungen, Staat und Kirche rigoros zu trennen, und Privilegien der Kirche wie den schulischen Religionsunterricht abzuschaffen, stießen auf heftigen Widerstand der Kirche. Der neuen Regierung war wiederum die antidemokratisch eingestellte, konservative evangelische Pfarrerschaft suspekt.

Nach einer kurzen Schockstarre ging das Führungspersonal der Kirche noch 1918 daran, sich eine eigene Verfassung zu geben.

Ein Jahr später wurde diese Verfassung von einer "Generalsynode" beschlossen, in der wie in einem Parlament "Laien" als gewählte Vertreter der kirchlichen Basis und entsandte Repräsentanten der Pfarrerschaft saßen. Diese Verfassung gewährte den Frauen das Wahlrecht in die kirchlichen Gremien, wie die Kirchenvorstände, in die gesetzgebende Generalsynode konnten sie jedoch erst ab 1958 gewählt werden.

Auch die Kirchengemeinden, von denen es heute mehr als 1.530 in Bayern gibt, erhielten mehr Rechte. Die Kirchenleitung wurde gebildet durch die Landessynode als Parlament, die über den Haushalt, die Gesetzgebung und die Wahl des Landesbischofs entscheidet, den Landeskirchenrat als Verwaltung und Exekutive sowie einen Kirchenpräsidenten, später Landesbischof, als geistliches Oberhaupt.

Die Unabhängigkeit der Kirche und Befugnisse wie das Erteilen von Religionsunterricht oder die Seelsorge in Kliniken, Gefängnissen und Militär wurden in einem "Staatskirchenvertrag" festgeschrieben, der 1924 in Kraft trat.

Die sozialistische Räteregierung war inzwischen von einer moderaten sozialdemokratischen Regierung abgelöst worden, die an einem konstruktiven Verhältnis zu den Kirchen interessiert war.

Die vor 100 Jahren gefundene arbeitsteilige Struktur der Kirchenleitung besteht bis heute. Die Frauen sind allerdings schon seit Längerem in die Landessynode eingezogen: Seit vielen Jahren stehen Frauen sogar als Präsidentinnen an der Spitze des bayerischen Kirchenparlaments.