In fast allen Bundesländern dürfen alle Menschen mit Behinderungen künftig oder bereits wählen gehen. Während entsprechende Gesetze in fünf Ländern bereits seit längerem gelten, einigten sich im März drei weitere Landtage auf ein inklusives Wahlrecht, wie eine Umfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd) ergab. Bayern und fünf weitere Bundesländer beraten derzeit Gesetzentwürfe zum Wahlrecht für Behinderte, die dauerhaft voll betreut werden. Einzig aus dem Saarland lag keine Antwort des zuständigen Ministeriums vor.

In Bayern sind etwa 20.000 Menschen bislang von Wahlen ausgeschlossen. Um eben diese Zahl würden sich die Wahlberechtigten künftig erhöhen. Wenn alles klappt wie geplant, sollen sie bei den bayerischen Gemeinde- und Landkreiswahlen am 15. März kommenden Jahres ihre Stimme abgeben dürfen. Sobald auf Bundesebene ein genauer Gesetzeswortlaut absehbar sei, werde die Staatsregierung ihr Gesetzgebungsverfahren einleiten, erläuterte ein Sprecher des Innenministeriums auf epd-Anfrage. Dann solle der Landtag "zeitnah" die notwendigen Anpassungen im Landes- und Kommunalwahlrecht vornehmen.

Konkrete Umsetzung noch unklar

Wie der Freistaat das neue Wahlrecht umsetzen will, etwa durch spezielle Wahlhelfer oder Informationen in leichter Sprache, steht noch nicht fest. "Die praktische Umsetzung hängt vom Inhalt der gesetzlichen Regelung ab, die derzeit im Detail noch nicht bekannt ist", sagte der Sprecher. Beabsichtigt sei aber insbesondere eine Assistenzregelung. Bereits jetzt gäben der Behindertenbeauftragte der Staatsregierung und die Landeszentrale für politische Bildungsarbeit regelmäßig Wahlhilfebroschüren in Leichter Sprache heraus.

Der Bundestag hatte Mitte März beschlossen, dass künftig auch behinderte Menschen mit Vollbetreuung wählen und für eine Wahl kandidieren dürfen. Gleiches gilt für schuldunfähige, psychisch kranke Straftäter, die im Maßregelvollzug untergebracht sind. Die Reform tritt allerdings erst zum 1. Juli in Kraft und ist damit zur Europawahl Ende Mai noch nicht wirksam. Mit der Gesetzesnovelle wird ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts umgesetzt, das entschieden hatte, dass Behinderte nicht von Wahlen ausgeschlossen werden dürfen.

Vorreiter NRW und Schlewig-Holstein

Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein änderten ihre Kommunal- und Landeswahlgesetze bereits 2016 und waren damit Vorreiter unter den Bundesländern. Dieses Jahr zum ersten Mal wählen dürfen Betroffene in Brandenburg, Bremen und Hamburg, wo schon im vergangenen Jahr Änderungen beschlossen wurden.

Die Landtage von Niedersachsen und Rheinland-Pfalz verabschiedeten Ende März entsprechende Gesetzesänderungen, die rechtzeitig zu den anstehenden Wahlen im Mai in Kraft treten sollen. In Niedersachsen profitieren davon rund 8000 Menschen.

Auch in Mecklenburg-Vorpommern, Baden-Württemberg, Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt könnten bald alle Menschen mit Behinderung ihre Stimme abgeben. Falls es zur Reform kommt, dürfen beispielsweise rund 6.000 bislang von den Wahlen ausgeschlossene Baden-Württemberger im Mai zum ersten Mal wählen.