Seit Januar gilt das "Gesetz zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarktes", das mehr Menschen mit Behinderung in reguläre Jobs bringen soll. Unter anderem wurde eine neue Stufe der Ausgleichsabgabe von 720 Euro je Monat eingeführt. Die kostet Firmen, die trotz gesetzlicher Verpflichtung keine Menschen mit Behinderung beschäftigen, deutlich mehr Geld. Zudem gelten Anträge von Beschäftigten mit Behinderung auf Förderung bei den Integrationsämtern automatisch als genehmigt, wenn die Behörde nach sechs Wochen darüber nicht entschieden hat.

Der große Wurf sei das Gesetz nicht, urteilte SoVD-Vorstandsvorsitzende Michaela Engelmeier. "Aber es ist ein Schritt nach vorne. Es bringt Menschen mit Behinderungen als potenzielle Arbeitnehmer ein Stück weiter aufs Tableau", sagte sie dem Evangelischen Pressedienst (epd). Entscheidend aber sei, bei Arbeitgebern eine Bewusstseinsänderung herbeizuführen. Diese hätten noch zu oft Berührungsängste beim Umgang mit Menschen mit Behinderung.

Inklusion: Unternehmen zahlen lieber Strafen

Noch immer zahlen Unternehmen lieber Strafen, wenn sie die gesetzlich vorgeschriebene Mindestanzahl an zu beschäftigenden Behinderten nicht erreichen, als eben jene Personen einzustellen. Dass das neue Gesetz hier schnell zu Fortschritten führt, bezweifeln Expertinnen und Experten.

Rund ein Viertel aller Arbeitgeber in Deutschland - über 44.000 Unternehmen - beschäftigen keinen einzigen Menschen mit Schwerbehinderung. Verpflichtet dazu sind Firmen mit mehr als 20 Arbeitsplätzen. Sie müssen fünf Prozent ihrer Stellen mit Schwerbehinderten besetzen. Laut Statistik der Bundesagentur für Arbeit mussten 2021 etwa 61 Prozent der beschäftigungspflichtiger Unternehmen die Ausgleichsabgabe entrichten. (Aufkommen 2020: 697 Millionen Euro)

Der Sozialverband VdK beklagt mit Blick auf die Reform, dass die Bußgeldvorschrift für zur Beschäftigung Behinderter verpflichteter Firmen weggefallen ist. Bislang drohte zusätzlich zur Ausgleichsabgabe eine Geldstrafe von bis zu 10.000 Euro. Dieser Tatbestand wurde gestrichen - wegen der erhöhten Ausgleichsabgabe. "Der Wegfall steht in einem Widerspruch zum Gesetz, denn die Zahlung der Ausgleichsabgabe hebt die Pflicht zur Beschäftigung schwerbehinderter Menschen ausdrücklich nicht auf", sagte Präsidentin Verena Bentele dem epd. Verbandschefin Engelmeier:

"Jede Regelung, die bei Nichteinhaltung nicht sanktioniert wird, ist wirkungslos."

Und völlig unverständlich sei, dass die Kosten der Ausgleichsabgabe weiter von der Steuer abgesetzt werden könnten.

"Unsere Hoffnungen auf höhere Einnahmen durch die Ausgleichsabgabe sind gedämpft: Letztlich sind nur rund 4.000 größere Unternehmen bei den Nullbeschäftigern tatsächlich vom höheren Staffelbetrag betroffen", sagte Verena Bentele. Dennoch habe die Ausgleichsabgabe sowohl eine Anreiz- als auch eine Ausgleichsfunktion.

So oder so ein Mehrwert

Claudia Rustige, Geschäftsführerin der Bundesarbeitsgemeinschaft der Inklusionsbetriebe, sagte, man könne bei der erhöhten Ausgleichsabgabe "nur abwarten, ob sie tatsächlich zu mehr Beschäftigung führt". "Aber wenn nicht, heißt es zumindest, dass mehr Geld in der Kasse ist, um beschäftigungsbereiten Arbeitgebern und auch Inklusionsunternehmen die notwendigen Nachteilsausgleiche wie etwa Lohnkostenzuschüsse zu bezahlen. Also ein Mehrwert so oder so", sagte sie dem epd.

"Bisher wurde der allergrößte Teil der Ausgleichsabgabe in die Förderung von Werkstätten gesteckt. Das soll sich nun ändern", sagte Michaela Engelmeier. Jetzt werde das Geld, das in einen Ausgleichsfonds fließt, vermehrt zur Förderung der Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt genutzt. Das können innovative Projekte sein, aber auch Hilfsmittel und Unterstützungen für behinderte Menschen und Unternehmen, die sie einstellen.

Verena Bentele mahnte weitere Reformen an:

"In der Diskussion um die Teilhabe am Arbeitsleben müssen wir viel mehr die Menschen berücksichtigen, die bisher als dauerhaft erwerbsgemindert gelten und teils in Werkstätten für Menschen mit Behinderungen arbeiten."

Das Werkstattsystem müsse dringend reformiert werden. "Vor allem die Finanzierung der Werkstätten sorgt dafür, dass die Leistungsträger oft ungern auf den ersten Arbeitsmarkt vermitteln, was eigentlich Auftrag der Werkstätten als Ort der Rehabilitation wäre."

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