Vorsichtig taucht Antonia Mund und Nase ins Wasser. "Jetzt versuche mal, Blubberblasen zu machen", sagt Schwimmausbilder Wolfgang vom Bayerischen Roten Kreuz. Antonia atmet aus und tatsächlich beginnt es vor ihrem Gesicht zu sprudeln. Solche Übungen, die sogenannte Wassergewöhnung, sind wichtig, um die Scheu vor dem Element zu verlieren, erklärt Thomas Huber, Vorsitzender der Wasserwacht Bayern. Sie können auch zuhause in der Badewanne geübt werden. "Ein Kind, das keine Probleme mit Wasser in den Augen hat, tut sich auch im Schwimmbad leichter", sagt Huber.

Nichtschwimmer: Pandemie hat Lage weiter verschärft

Angesichts der aktuellen Kursknappheit bleibt vielen Eltern wohl auch nichts anderes übrig: Schon vor der Ankündigung des Ministerpräsidenten, jedem Vor- und Grundschüler einen 50- Euro-Gutschein für einen Schwimmkurs zu schenken, und auch schon vor Corona, war es vielerorts nur mit langer Wartezeit möglich, einen Platz zu ergattern. Die Pandemie mit ihren monatelang geschlossenen Bädern und ausgefallenen Unterrichtsstunden hat die Lage weiter verschärft.

Mehr als 200.000 Schülerinnen und Schüler in Bayern hätten seit März 2020 nicht schwimmen lernen können, rechnet die Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) vor. Wie dieser Stau nun wieder aufgelöst werden soll, darauf hat aktuell niemand eine rechte Antwort. Denn wer momentan einen Schwimmkurs buchen möchte, hat in kommunalen Bädern und bei Schwimmvereinen kaum Erfolg. Selbst bei teuren privaten Anbietern sind die Wartelisten lang – und zwar quer durch den Freistaat, egal ob in der Stadt oder auf dem Land.

Was die Politik dazu sagt

In einem Brief an Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler) forderte die SPD-Landtagsfraktion unlängst, dass alle bayerischen Grundschüler die Möglichkeit bekommen müssten, trotz Corona-Pandemie schwimmen zu lernen. Dazu sollten die Lehrpläne in allen Schularten so ergänzt werden, "dass der Schwimmunterricht Priorität hat und ausgefallener Unterricht nachgeholt werden kann", sagte die SPD-Abgeordnete Simone Strohmayr: "Jedes Kind muss schwimmen können." In den geplanten "Sommerschulen" müsse der Schwimmunterricht ins Lernprogramm aufgenommen und im Herbst bei Schullandheim-Aufenthalten "Schulschwimm-Wochen" angeboten werden.


Das Kultusministerium gibt sich auf Anfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd) willig: Es sei ihm ein großes Anliegen, die Schwimmfähigkeit bestmöglich zu fördern. "Daher ist der Schwimmunterricht auch fester Bestandteil des Bayerischen Lehrplans und nimmt in allen Klassenstufen und Schularten im Rahmen des Sportunterrichts eine zentrale Rolle ein", sagte eine Sprecherin. Nach den coronabedingten Einschränkungen auf den Bäderbetrieb seien alle Maßnahmen ergriffen worden, um den Schwimmunterricht so zügig wie möglich wieder aufzunehmen. Der derzeit gültige Rahmenhygieneplan Schulen (Stand: 04.06.2021) ermögliche es, schulischen Schwimmunterricht in allen Jahrgansstufen sowohl in Hallenbädern wie auch in Freibädern wieder durchzuführen.

"Wir werden ein nachhaltiges Problem bekommen, wenn die heutigen Kinder in zehn Jahren Jugendliche sind, am Baggersee Partys feiern und unsicher sind, wie sie sich im Wasser verhalten sollen"

Dass Kinder sicher schwimmen können, ist wichtig. Sich auf das vielfältige Angebot an Hilfsmitteln oder Spaßgeräten zu verlassen, fatal. An Badeseen lässt sich immer wieder beobachten, wie Kinder etwa mit einem Stand-up-Paddle-Boot herumschippern, im Zweifelsfall aber nicht selbstständig zurück zum Ufern schwimmen können. "Wir werden ein nachhaltiges Problem bekommen, wenn die heutigen Kinder in zehn Jahren Jugendliche sind, am Baggersee Partys feiern und unsicher sind, wie sie sich im Wasser verhalten sollen", sagt der Präsident des Deutschen Schwimmlehrerverbands, Alexander Gallitz, aus dem mittelfränkischen Burgthann. Der DLRG zufolge ertranken bei Badeunfällen in Bayern 2019 insgesamt 95 und 2020 79 Menschen.

Was heißt "Schwimmen können"?

Mit einem Seepferdchenkurs sei es da nicht getan: Sicher schwimmen könne ein Kinder erst nach 40 bis 60 Stunden Schwimmpraxis. "Von ‚Schwimmen können‘ spricht man eigentlich erst, wenn man das Deutsche Schwimmabzeichen in Bronze, den Freischwimmer, abgelegt hat", sagt Huber von der Wasserwacht. Das "Seepferdchen" sei eher ein Anfängerschwimmabzeichen, das nur sage, "dass man mit dem Schwimmen begonnen und sich an das Wasser gewöhnt hat".


Schwimmanfänger Kilian ist dafür auf dem besten Weg. Zielsicher greift er nach dem roten Ring vom Beckenboden. Antonia macht es sich derweil auf dem Wasser gemütlich: Zunächst mit, anschließend ohne Poolnudel darf sie auf dem Nass schweben und lernt so die Auftriebskraft des Elements kennen. "So könnte man stundenlang liegen, wenn nicht irgendwann der böse Schwimmlehrer sagt, man soll jetzt aufstehen", scherzt Schwimmlehrer Wolfgang.
Kinder sollten das Schwimmen im Vorschulalter erlernen, "idealerweise im Alter von fünf bis sechs Jahren", findet Huber. Doch Schwimmlehrer waren schon vor der Pandemie Mangelware und im vergangenen Jahr hätten viele aufgegeben, ihre Rettungsfähigkeit nicht aufgefrischt und es seien kaum neue ausgebildet worden. "Wir haben einen extremen Mangel", sagt Gallitz. Er wisse von drei Kolleginnen, die sich andere Jobs gesucht haben: Eine leitet jetzt ein Impfzentrum, eine arbeitet in einer Bäckerei und eine bei einem Sicherheitsdienst.

"Wir können noch so viele Schwimmlehrer haben - wir haben kein Wasser, das ist das größere Problem"

Der Beruf des Schwimmlehrers ist in Deutschland nicht geschützt. "Ein Unding", findet Gallitz und verweist auf andere Länder wie Spanien, wo es eine staatliche anerkannte Schwimmausbildung gebe. In Deutschland dagegen könne jeder Schwimmlehrer werden, der den Lehrschein bei der Wasserwacht mache. Auch der Bayerische Schwimmverband (BSV) bilde Schwimmtrainer aus, sagt Geschäftsstellenleiterin Alexandra Knull. Der größte Teil der Schwimmtrainer mache das nebenberuflich und meist ehrenamtlich. Die Anzahl hauptamtlicher Schwimmtrainer sei gering.
Wie viele Schwimmlehrer es in Bayern gibt, dazu gibt es keine Zahlen. Doch Gallitz betont: "Wir können noch so viele Schwimmlehrer haben - wir haben kein Wasser, das ist das größere Problem". BSV-Leiterin Knull bestätigt: "Es fehlt einfach an Wasserflächen. Somit können nicht genügend Kurse angeboten werden." Daher dürfe es nicht sein, dass Hallenbäder der Kommunen am Wochenende zu sind oder private Kurse in Schwimmbädern verboten werden, kritisiert Gallitz. Um den Ausfall der Kurse während der Pandemie auszugleichen, müssten laut Knull mehr Wasserflächen "geschaffen" werden - etwa durch die Öffnung der Hallenbäder auch während der Freibad-Saison. "Aber das ist natürlich immer eine Kostenfrage", räumt sie ein.

Was sagen die Träger kommunaler Bäder?

Die Träger kommunaler Bäder sind im Zwiespalt. Auch ihnen sei es wichtig, dass Kinder schwimmen lernen, sagt eine Sprecherin der Stadtwerke München (SWM) dem epd. Doch bei den Hallen- und Freibädern träfen viele nachvollziehbare Wünsche und Ansprüche auf einen begrenzten Raum. So gebe es auch den öffentlichen Auftrag, den Schwimmbetrieb für alle zu ermöglichen. Zudem seien Bäderzeiten fürs Schulschwimmen der Stadt sowie für Trainingszeiten der Vereine reserviert.

Da aktuell noch nicht alle Hallenbäder öffnen können, sei die Wasserfläche in München derzeit wie 2020 noch begrenzt. Selbstverständlich wolle man hier "weiterhin optimieren": Aktuell starteten immer neue Schwimmkurse, weitere würden "nach und nach ins Programm aufgenommen". Auch planten die SWM, in den Sommerferien ein zusätzliches Kursangebot bereitzustellen.

In Würzburg bieten nach Aussage eines Stadt-Sprechers überwiegend ehrenamtlich organisierte Institutionen wie Sportvereine sowie Wasserwacht oder DLRG Schwimmkurse an. Das Schul- und Sportreferat der Stadt plane nun jedoch der Nachfrage entsprechend auch über die Sommerferien eines der städtischen Schulschwimmbäder für Schwimmkurse geöffnet zu halten. Während der Sommerferien fänden sogenannte "Crashkurse" statt. Eigene Kurse werde die Stadt jedoch laut Sprecher nicht anbieten können.

Hallen- und Freibäder seien Einrichtungen der Daseinsvorsorge

Spricht man mit betroffenen Eltern, sind die Reaktionen unterschiedlich. Zwar berichten fast alle, unabhängig vom Wohnort, von großen Schwierigkeiten und langen Wartelisten bei der Suche nach einem Schwimmkurs oder über ausfallenden Schulschwimmunterricht. Doch während das viele unbändig ärgert, sind andere gelassen und erzählen, dass es kein Problem war, dem Kind das Schwimmen selbst beizubringen.
Auch Huber von der Wasserwacht findet, dass Kinder "idealerweise mit den Eltern" schwimmen lernen. Manchen falle aber auch das Lernen mit qualifizierten Ausbildern leichter. Eltern könnten nun die Urlaubszeit am Badesee oder im Freibad zum Üben nutzen. "Aber der Spaß sollte dabei auf jeden Fall nicht zu kurz kommen", betont er.

Immerhin: Mit einem Bädersterben aufgrund der Einnahmeeinbußen im Lockdown und somit einer weiteren Verschärfung der Wasserflächenknappheit rechnet Michael Förster, Sprecher der DLRG Bayern, nicht. Hallen- und Freibäder seien Einrichtungen der Daseinsvorsorge und trügen sich ohnehin in aller Regel wirtschaftlich nicht selbst. "Deshalb sind uns die Schließungen beziehungsweise Einnahmeausfälle der Bäder nicht als Grund bekannt, dass Bäder wegen Corona auf Dauer geschlossen werden müssten", sagt er.

Nach dem Tauchen und Schweben lernen die Schwimmanfänger das Gleiten. Kopf gerade ins Wasser, Arme und Beine zusammen. Dann "Hocke - Kreis – Schließen" mit den Beinen. Kilian probiert es erst am Beckenrand, dann auf der Poolnudel. Schließlich kommen die Arme dazu: Wasser fassen, ziehen, drücken und Arme wieder nach vorne strecken. "Die Gleitphase mitnehmen!", sagt Trainer Wolfgang. Und Kilian ist seinem Seepferdchen ganz nah.

Kampagne "Bayern schwimmt"

Tipps und Tricks rund ums Schwimmen

Die Wasserwacht Bayern startete im Juli die Kampagne "Bayern schwimmt". Damit will man dem Thema mehr Aufmerksamkeit geben und Eltern mit Schwimmvideos unterstützen.

www.bayernschwimmt.de