Am 7. März 1943 nahmen sich Selma und Ludwig Friedmann das Leben – einen Tag bevor sie deportiert werden sollten. Mit diesem selbstgewählten Tod kam das jüdische Augsburger Fabrikantenehepaar der sicheren Ermordung in einem KZ zuvor. Ein Schicksal, das Emma und Eugen Oberdorfer ereilte: Auch sie waren einst angesehene Augsburger Fabrikanten. Auch sie wurden von den Nazis enteignet und verfolgt. Und schließlich im KZ ermordet.

Die beiden Ehepaare sind die Großeltern der 76-jährigen Miriam Friedmann. Gemeinsam mit ihr hat der Filmemacher Josef Pröll über das Schicksal der Familien Friedmann und Oberdorfer während der NS-Zeit einen Dokumentarfilm gedreht: "Die Stille schreit" hat am 20. Januar in Augsburg Premiere. Als Preview ist der Film bereits am Donnerstag (17. Januar) bei den jüdischen Filmtagen in München zu sehen.

Herr Pröll, wie kam die Zusammenarbeit zwischen Ihnen und Miriam Friedmann zustande?

Josef Pröll: Vor vier Jahren hat mich Miriam Friedmann bei einer Veranstaltung angesprochen. Ich mache schon seit Langem Dokumentarfilme. Da meine Familie in der NS-Zeit politisch verfolgt wurde, ist mir das Thema vertraut. Dennoch habe ich erst einmal abgelehnt, weil ich ahnte, was da für eine Arbeit auf uns zukommen würde. Am Ende konnte ich aber doch nicht Nein sagen. Wir haben viel und intensiv gearbeitet. Ich habe es nicht bereut.

Warum?

Pröll: Weil es ein, wie ich finde, sehr eindrucksvoller Film geworden ist. Ich hatte mich vorher noch nicht mit dem Thema "Arisierung" beschäftigt. Die Großeltern Miriam Friedmanns dachten ja lange, ihnen geschieht nichts – trotz der Machtergreifung durch die Nazis: Sie seien doch angesehene Bürger. Sie glaubten, dass Hitler auf parlamentarischem Weg abgewählt werden würde. Und doch mussten sie alles zwangsverkaufen, in Judenhäuser umziehen, verloren ihr Hab und Gut. Erschreckend daran ist die Selbstverständlichkeit, mit der das alles ablief.

Die Filmemacher des Films "Die Stille schreit"
Sie arbeiteten gemeinsam an dem Film: Miriam Friedmann (vorne), ihr Mann Friedhelm Katzenmeier und Regisseur Josef Pröll (hinten stehend).

Was meinen Sie damit?

Pröll: Wie gnadenlos systematisch dabei vorgegangen wurde. Nach dem Tod der beiden Ehepaare hat das Finanzamt sofort sogenannte "Lieferscheine" erstellt. Was sie an Besitz hatten, wurde an Privatbürger verkauft: Bettlaken, Tische, Unterwäsche. Nicht nur die Nazis profitierten so von ihrem Tod, sondern auch ganz normale Menschen – ohne je zu hinterfragen, was denn mit den Besitzern passiert ist. Das war auch noch lange nach dem Krieg so.

Inwiefern?

Pröll: Der Film zeigt am Ende, wie die neue Besitzerin, der die Nazis den Betrieb und das Haus der Oberdorfers zugesprochen hatten, im Jahr 1962 das 100-jährige Betriebsjubiläum feierte. Sie erwähnte dabei mit keinem Wort die eigentliche Geschichte der Manufaktur.

Wie empfanden Sie selbst diese Geschehnisse, als Sie an dem Film arbeiteten?

Pröll: Es hat mich erschreckt, zu sehen, was Menschen anderen antun können. Erschreckt und tief berührt – so sehr, dass ich manchmal vor meinem Computer saß und nicht mehr weiterarbeiten konnte. Gerade deshalb finde ich es auch so wichtig, dass wir diese Geschichte weitergeben, die ja stellvertretend für andere Städte und Tausende andere Familienschicksale steht. Dass wir zeigen, was aus Hass alles entstehen kann – und klarmachen: Das darf nie wieder passieren.

Wie kann der Film dazu beitragen?

Pröll: Er soll die Zuschauer vor allem zum Nachdenken darüber anregen. Also sich selbst Fragen zu stellen: Wie würde ich in einer solchen Situation reagieren? Was lerne ich aus unserer Vergangenheit? Wie gehen wir heute miteinander um? Und: Wie wichtig ist mir unsere Demokratie?

Aufführungstermine

Der Film "Die Stille schreit" hat am 20. Januar im Kino "Mephisto" in Augsburg Premiere. Er wird außerdem am 17. Januar als Preview bei den Jüdischen Filmtagen in München gezeigt. Beginn ist 19 Uhr im Jüdischen Gemeindezentrum in München. In Augsburg ist der Film noch einmal am 10. Februar, 11 Uhr, im Thalia-Kino zu sehen. Infos auch auf der Homepage des Films