Die Technische Universität München (TUM) ist ein Hochleistungsbetrieb: Top-Plätze in internationalen Rankings, Forschungsmillionen aus der Wirtschaft, Nobelpreisträger als Absolventen. Wer hier studieren will, muss selbst Spitze sein: Hunderte junge Leute aus der ganzen Welt bewerben sich auf einen Studienplatz. Leistungsdruck, Einsamkeit, Zukunftsangst und schnödes Heimweh – dafür ist an der Exzellenz-Uni kein Platz. Den finden die Studenten bei der Evangelischen Hochschulgemeinde (EHG). Die Pfarrerinnen Claudia Häfner und Katarina Freisleder bieten in der Münchner Innenstadt und auf dem Forschungscampus Garching zwei Anlaufstellen für Lebensfragen und Gemeinschaftsgefühl.
Den Anspruch der Exzellenz-Uni sieht Katarina Freisleder in Garching jeden Tag. Sie hat ihr Büro im Bau des Maschinenwesens, hinter dem gerade das neue High-Tech-Gebäude für Elektrotechnik und Informatik entsteht – Kostenpunkt 520 Millionen. Direkt gegenüber wächst das künftige Campus-Zentrum "Galileo" in die Höhe, mit Audimax, Gästehotel, Supermarkt und den neuen Räumen der Hochschulseelsorge auf 260 Quadratmetern. "Dass wir eigene Räume auf dem Campus haben, ist für unsere Arbeit sehr wichtig", sagt sie. Herz der EHG ist derzeit das "Spiritum", ein luftiger Raum mit Glasfront zum Vorplatz. Hier finden Lobpreisabend, Kinovorführung und Bierverkostung statt. Und wenn die Bibliothek mal wieder völlig überfüllt ist, lernen die Studenten schon mal hier.
Warum Seelsorge an der TU München wichtig ist
Die Themen der EHG sind vielfältig: Es geht um existenzielle Not – Stichworte Wohnen, Nebenjobs –, um Vereinzelung im Konkurrenzkampf, um psychische Krankheiten, um die Beantwortung von Sinnfragen im digitalen Zeitalter. "Die größte Herausforderung für die jungen Leute ist, dass sie alle Entscheidungen parallel treffen müssen: Wie will ich leben? Was will ich arbeiten?", beschreibt es Claudia Häfner. Und über allem der Leistungsdruck durch Prüfungen, die nur einmal wiederholt werden können, durch Studienfortschrittskontrollen und das Zählen von Credits. Wenn dann noch Heimweh dazwischen kommt, ist schnell Schicht im Schacht.
Für Luis, Maschinenbaustudent im 6. Semester und Tutor an der EHG, ist Freundschaft ein wichtiges Thema. "Wenn man mit dem Studium beginnt, weiß man schon: Jeder dritte kommt nicht weiter", sagt der 22-Jährige. Aber wie kann man sich auf Beziehungen einlassen, wenn über ihnen von Anfang an das Damoklesschwert der nächsten Prüfung hängt? An der Uni herrsche ein enormer Druck, sagt der junge Venezolaner, es gebe Veranstaltungen zu Netzwerken und Karriere, aber keine Plattformen für Gemeinschaft und verlässliche Beziehung.
Pfarrerinnen sind Ersatzeltern und Beraterinnen
Sein Tutor-Kollege Oli, der Informatik studiert und im Fernstudium Theologie, stimmt zu: An der TU mit ihren 41 000 Studenten rutsche man leicht in die Anonymität – "an der EHG ist es intimer." Neben seinem Studium interessierten ihn eben auch Lebensfragen: "Warum bin ich hier? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? Wenn Uni nur lernen bedeutet, wäre das zu trist", sagt der 22-Jährige vom Bodensee.
Die beiden Pfarrerinnen füllen mehrere Rollen aus: Sie sind Beraterinnen und Ersatzeltern für die Studentengemeinde, Botschafterinnen und Netzwerker im System TU. Oft seien die Mitarbeiter gegenüber der Kirche skeptisch. "Es braucht Zeit, Vertrauen, positive Begegnungen", weiß Katarina Freisleder. Eine Glaubenswüste ist der Campus in Garching aber nicht: Gerade weil die Diskrepanz zwischen Naturwissenschaft und Glaube scheinbar so groß sei, hätten viele ein Interesse an spirituellen Fragen. "Man kommt mit Forschung sehr weit, und dennoch gibt es Momente im Leben, in denen ich nichts mehr in der Hand habe", beschreibt es Claudia Häfner.
Als "Fachleute für Grenzerfahrungen" wollten sie einen Raum für Lebensfragen geben und Geborgenheit im Glauben vermitteln, ergänzt Katarina Freisleder. Die EHG ist dabei offen für alle Glaubensrichtungen: Katholiken, Baptisten, Freikirchler, Bibeltreue, International Christian Fellowship, Muslime – alle sind willkommen. "Der Glaube ist ein verbindendes Element", sagt Claudia Häfner. Und Rituale sind sprachübergreifend verständlich – praktisch an einem internationalen Standort wie der TU München.