Eine verärgerte Frauenstimme lässt eine Schimpfkanonade los: "Du hast die Schule geschwänzt! Und du hast meine Unterschrift auf deinem Zeugnis gefälscht! Du bekommst drei Monate Hausarrest!"

Die geplagte Mutter wird von einer Schülerin gespielt. Ein anderes Mädchen verkörpert die Tochter, die nur kleinlaut sagt: "Tut mir leid. Ich weiß nicht, was mit mir los ist". Man ist mitten im Videodreh in einem Nürnberger Schulhof. Sechs Schülerinnen des Labenwolf-Gymnasiums setzen sich mit dem Thema "Depression im Jugendalter" auseinander.

Theaterstück "Icebreaker" behandelt das Thema Depression

Was ist pubertierend? Und wo ist die Grenze zu "mehr als schlecht drauf"? Diese Fragen stellte sich der Theaterpädagoge Jean-Francois Drozak schon vor mehr als zehn Jahren und schrieb das Stück "Icebreaker", auf dem die Videoclips basieren.

"Viele Menschen denken ja, Depression bedeutet Traurigkeit, das stimmt aber nicht", sagt er. "Wenn man betroffene Menschen fragt, so sagen sie, es ist ein Einfrieren von Gefühlen, also die Abwesenheit von Gefühlen, die Abwesenheit von Motiven, jeden Morgen aufzustehen und so weiter."

Schüler stellen Geschichte eines Mädchens mit Depressionen dar

Die 14-jährige Ellora Braun spielt eine pubertierende Schülerin, die keine Depression hat: "Ich muss in meiner Rolle viele Schwankungen der Emotionen darstellen", erklärt sie.

Dagegen stellt die 15-jährige Alexandra Marquart in der Rolle der Lisa ein Mädchen mit Depressionen dar, das selbstmordgefährdet ist. Nachdem ihre Schwester sein Tagebuch gelesen hat, kann dem Mädchen geholfen werden.

Das schwerste an ihrer Rolle sei gewesen, dass sie keine Gefühle zeigen durfte, erzählt Alexandra: "Beim Theater ist es ja so, dass man seine Gefühle eher größer spielt, Emotionen zeigen durfte ich hier eben gerade nicht. Ich musste wie eine Art Roboter sein und auch so sprechen".

AOK Bayern fördert das Schulprojekt

Seit 2017 fördert die AOK Bayern ein Schulprojekt, in dem sich Schüler und Schülerinnen die Theaterszenen erarbeiten und so Zugang zu dem schwierigen Thema bekommen. "Die Aufklärungsarbeit zum Thema Depression ist enorm wichtig", erklärt Horst Leitner, Direktor der AOK in Mittelfranken.

Bis zu 20 Prozent der Jugendlichen in Deutschland unter 18 Jahren zeigten ein erhöhtes Risiko für psychische Auffälligkeiten. Die Corona-Pandemie habe diese Situation leider noch verstärkt. Mit dem Theaterprojekt ‚Icebreaker‘ wolle man die Jugendlichen spielerisch an das heikle Thema heranführen.

Auch das Jugendamt der Stadt Nürnberg unterstützt das Projekt. "Bei der gemeinsamen Entwicklung haben wir schon gemerkt, dass das ein Tabuthema ist", sagt Drozak: "Schule und Eltern zu bewegen, über dieses Thema zu sprechen, anstatt es zu verdrängen."

Videoclips werden vor den Sommerferien in den Klassen gezeigt

Die Videoclips von und für Jugendliche produziert sollen vor den Sommerferien in den Klassenzimmern gezeigt werden. Die aus der Isolation kommenden Jugendlichen über die Erkrankungsform Depression informieren und sie bei Bedarf versorgen, ist das Ziel.

Drozak ist es wichtig, dass die Clips analog in den Klassenzimmern gezeigt werden. Es müsse die Möglichkeit gegeben sein, Schüler nach der Präventionseinheit beobachten und wahrnehmen zu können. Zudem sollte bis zwei Wochen nach der Aktion in den Klassenzimmern immer noch die Möglichkeit gegeben sein, die Schüler direkt und analog anzusprechen.

In Schulen kann über das Thema Depression aufgeklärt werden

Wegen der Pandemie arbeiteten die Kinder- und Jugendpsychiatrien jetzt schon am Limit. In den Schulen könne vorbeugende Hilfe geleistet werden. "Sie können Verdachtsmomente einer beginnenden oder vorhandenen Depression erkennen und diese gegenüber Betroffenen ansprechen.

Vor allem aber lernen sie, dass Depression eine heilbare Krankheit ist", sagt der Theaterpädagoge. "Es ist ein freiwilliges Angebot. Keine Lehrer darf dazu gezwungen werden, zumal auch Lehrkräfte davon betroffen sein könnten", sagt Drozak.

Eine wertvolle Erfahrung für die Schüler*innen und den Schulleiter 

Die Schülerinnen am Labenwolf-Gymnasium haben für das Projekt eine Ferienwoche geopfert. Auch für Schulleiter Harald Benisch war die Projektwoche eine wertvolle Erfahrung: "Gerade nach der langen Zeit, in der die Schüler daheim bleiben mussten, zeigt sich, das ist Wertevermittlung, das ist Sozialgemeinschaft und für die Jugendlichen ist das auch ein ganz wichtiger Teil ihres Lebens." Durch dieses Erleben würden die Zuschauer einen neuen Zugang zu der Erkrankung Depression finden, ist er überzeugt.