Die Wahlbeteiligung bei der Kommunalwahl 2014 hatte in München bei nur 42 Prozent gelegen, bayernweit bei 55 Prozent. Dieter Reiters Wunsch ist eine "Beteiligung von 60 plus" Prozent wie bei der jüngsten Europawahl. Die Kampagne "Für mich. Für München." läuft bis zum Wahltag, dem 15. März 2020. In dieser Dimension ist sie bundesweit einzigartig: München hat laut Reiter die größte Kommunalverwaltung Deutschlands. Miriam Heigl von der städtischen Fachstelle für Demokratie sagte, Studien zufolge liege die abnehmende Wahlbeteiligung vor allem an einem "Informationsdefizit" der Bürger über Zusammenhänge, Bedeutung und Mitwirkungsmöglichkeiten in der Kommunalpolitik.
Die Kampagne will darum Basiswissen etwa zu solchen Fragen vermitteln:
Wie funktioniert meine Stadt? Wie werden Entscheidungen getroffen? Wie kann ich mich beteiligen?
In poppigen Animations-Kurzfilmen wird erklärt, welche Aufgabenbereiche der Oberbürgermeister hat, wie Stadtrat und Verwaltung zusammenwirken, wohin der Haushalt fließt und wie Politik vor der Haustür gemacht wird. Auf Wandzeitungen werden die komplexen Zusammenhänge der Gremien anschaulich gemacht.
Die Website muenchenwaehlt.de lädt zudem zu einem "Schnell-Check" ein, ob jemand wählen darf. Wahlberechtigt bei der Kommunalwahl sind alle Bürger ab 18 Jahren, die einen deutschen oder einen EU-Pass besitzen und seit mindestens zwei Monaten ihren Hauptwohnsitz in der Kommune haben. Dargestellt wird auch, wie die Kommunalwahl abläuft, wie jeder Bürger über Kumulieren oder Panaschieren sein "Dream-Team" zusammenstellen kann und warum jede Stimme zählt.
Die Vermittlung soll über "Multiplikatoren" laufen, also Menschen an Schlüsselstellen in der Stadtgesellschaft. Rund 200 Vertreter von Vereinen, Verbänden, Organisationen und Parteien waren zur Präsentation ins Rathaus gekommen, darunter Kittelberger und der Leiter der Landeszentrale für politische Bildung, Rupert Grübl. Reiter rief sie auf, die bereitgestellten Materialien in ihren Einrichtungen zu nutzen, um Bürger jeden Alters und Bildungsniveau in mehreren Fremdsprachen zu informieren. Heigl zufolge sind bisher Versionen in Englisch, Türkisch, Russisch und Kroatisch vorgesehen.
Die Dekanin Kittelberger sagte gegenüber dem Evangelischen Pressedienst (epd), als größte Gefahr für die Demokratie erachte sie, dass die Menschen "mürbe und verdrossen" würden. Im evangelischen München passiere schon viel politische Bildung.
Dennoch "sollten wir bewusster wahrnehmen, bei welchen Gelegenheiten wir für demokratische Beteiligung werben".
Die 66 Kirchengemeinden des Dekenatsbezirks könnten die Plakate der Kampagne aufhängen sowie in Gruppen und Kreisen das Verständnis dafür stärken, dass "demokratische Beteiligung nicht nur ein Grundrecht, sondern sogar eine Grundpflicht" sei. Zudem forderte die Stadtdekanin, die Menschen in den politischen Gremien müssten noch mehr Kommunikation mit den Bürgern wagen.
München steht laut Reiter vor großen Herausforderungen etwa bei Mobilität, Wohnraum und der "Veränderung des sozialen Gefüges". Anders als vor 30 Jahren lasse sich Kommunalpolitik "heute nicht mehr vom Rathaus aus machen", sondern brauche eine hohe Legitimationsbasis in der Bevölkerung, sagte er. Die niedrige Wahlbeteiligung 2014 stehe im Kontrast dazu, "dass sich die Menschen durchaus in Themen einmischen".
Die niederschwellig gestaltete Kampagne solle der Demokratie-Verdrossenheit entgegenwirken und mithelfen, dass sich "auch die Unzufriedenen wieder repräsentiert fühlen".
Heigl zufolge vermittelt die Kampagne zwei Botschaften: Ein aktives demokratisches Engagement liege im Eigeninteresse jedes Bürgers und diene dem Gemeinwohl. 2018 hatte eine von der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) durchgeführte Studie, für die 2014 Münchner Nichtwähler befragt worden waren, den Stadtrat schockiert. Als Hauptgrund dafür, nicht zur Wahl zu gehen, wurden darin mangelndes Vertrauen in Politik genannt sowie das Gefühl, schlecht informiert zu sein. Die Fraktionen von Grünen und SPD hatten danach die Kampagne beantragt.