Was wäre aus der Reformation ohne Zutun der Frauen geworden?
Renate Jost: Ohne das Zutun der Frauen hätte sich die Reformation nie so schnell und wirkungsmächtig ausbreiten können, weil sie Luthers Ablehnung kirchlicher Hierarchien auf sich selbst und ihre damalige gesellschaftliche Stellung bezogen haben. Eine wichtige Errungenschaft der Reformation war unmittelbar die Bildung der Frauen. Alle Christen sollten selbst die Bibel studieren können. Dazu mussten die Mädchen und Frauen natürlich lesen und schreiben lernen.
Trotzdem hat es lange bis zur Gleichstellung gedauert – wieso?
Jost: In der gesamten Geschichte der Christenheit gab es zwar Aufbrüche – wie beispielsweise die Jesus-Bewegung –, aber die patriarchal-kyriarchalen Umstände der jeweiligen Zeiten waren doch stärker als die befreiende Botschaft des Evangeliums und der Gerechtigkeit Gottes, wonach alle Menschen gleich sind. Diese Gleichstellung wurde erst über die Frauenbewegung säkular erreicht, aber die Ideen entstammen der christlich-jüdischen Tradition. Der Feministischen Theologie geht es nun darum, Geschlechtergerechtigkeit in alle Bereiche der Theologie hineinzubringen. Dabei geht es zum Beispiel um die Frage, in welcher Weise Theologie Frauen benachteiligt, und darum, wie Ideologien zur Minderwertigkeit der Frauen entstanden sind. Diskutiert wird: Finden sich hierfür Anhaltspunkte in der Bibel? Welche Ideologien basieren nur auf Auslegungen?
»An Maria sieht man sehr gut, dass eine weibliche vergöttlichte Gestalt nicht unbedingt zur Gleichberechtigung der Frau beiträgt.«
Warum hat es das weibliche Gottesbild der Antike nicht bis ins Christentum geschafft?
Jost: Weibliche Gottesbilder führten nicht zwangsläufig zur Gleichberechtigung der Frau. In der Antike durften Frauen im Dienste weiblicher Gottheiten allerdings auch Priesterinnen werden. Auch in der frühen Christenheit hatten Frauen religiöse Ämter inne. Dies wurde im Sinne einer männlichen Vorherrschaft wieder zurückgedrängt. Männer haben das männliche Gottesbild zum Machterhalt zementiert – und das ging, weil Frauen der Zugang zu Bildung und damit zum Priestertum so lange verwehrt blieb.
Haben es die Katholiken mit ihrem Marienglauben da leichter?
Jost: An Maria sieht man sehr gut, dass eine weibliche vergöttlichte Gestalt nicht unbedingt zur Gleichberechtigung der Frau beiträgt. In der katholischen Kirche ist Maria vorrangig Mutter und reine Jungfrau. Aber auch bei uns Evangelischen ist die Gleichberechtigung der Frauen vor allem ein »Betriebsunfall« der Geschichte. Frauen wurden erst in der Bekennenden Kirche während der NS-Zeit aus der Not heraus zum geistlichen Amt zugelassen...
»Heute sind etwa 30 Prozent aller Pfarrer weiblich, in den leitenden Ämtern sind es leider deutlich weniger.«
Gibt es heute echte Gleichberechtigung in der EKD?
Jost: (lacht) Ich würde sagen, wir sind auf einem sehr guten Weg, aber es gibt keine Veranlassung zur Selbstzufriedenheit, nachdem die volle Gleichberechtigung je nach Landeskirche erst in den 1970er- und 1980er-Jahren erfolgt ist. Ich selbst bin seit über 30 Jahren ordiniert und habe viele Kämpfe mitgemacht – da hat sich viel entwickelt. Heute sind etwa 30 Prozent aller Pfarrer weiblich, in den leitenden Ämtern sind es leider, wie überall in der Gesellschaft, prozentual deutlich weniger.
Welchen Beitrag können Sie als Wissenschaftlerin leisten, die erreichte Gleichberechtigung zu sichern?
Jost: Ich habe meist Studierende aus den ersten Semestern zu Pflichtveranstaltungen – die müssen sich mit unseren Themen auseinandersetzen. Das ist wichtig, um sie zum Nachdenken über ihr Verhältnis zum anderen Geschlecht, zu Geschlechterfragen an sich anzuregen. Die Tatsache, dass die Augustana als einzige kirchliche und staatliche Hochschule eine fest eingerichtete Professur für Feministische Theologie vorweisen kann, spricht für sich. Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern ist innerhalb der EKD in Sachen Gleichberechtigung oftmals ganz vorne mit dabei. Ich wünsche mir natürlich, dass das so bleibt und andere Kirchen und Universitäten ähnliche Professuren einrichten.