Sie sind Botschafterin für das Reformationsjubiläum, Pastorin, waren Bischöfin und Ratsvorsitzende. Wie kommt es eigentlich, dass in der evangelischen Kirche auch Frauen alle Ämter übernehmen können?

Margot Käßmann: Der Respekt vor Frauen ist bereits in der Theologie der Reformation angelegt. Das hat drei Gründe: Erstens die Tauftheologie Martin Luthers. Wenn jeder Getaufte bereits Priester, Bischof und Papst ist, kann das auch jede getaufte Frau sein. Hier liegt der Schlüssel zum Respekt vor Frauen und in der Konsequenz die Zulassung von Frauen zu allen Ämtern der Kirche. Auch wenn die Reformatoren sich diesen Schritt gewiss nicht denken konnten, ist er in ihrer Theologie angelegt. Zweitens wurde durch die Eheschließung vormals zölibatär lebender Priester und Nonnen das "Leben in der Welt" aufgewertet.

Christsein bewährt sich mitten im Alltag der Welt, im Beruf, in der Familie, beim Regieren wie beim Erziehen der Kinder.

Für Frauen war die Befreiung, die sich durch die Aufwertung von Ehe, Sexualität und Kindererziehung ergab, umso größer, als zuvor die Überzeugung bestand, dass Frauen Gottes Gnade nur dann wirklich sicher sei, wenn sie Jungfrauen blieben. Drittens beschränkte sich der reformatorische Bildungsimpuls nicht auf Jungen und Männer, sondern schloss Mädchen und Frauen ein. Die Volksschule sollte eine Schule für alle sein – eine ungeheure Aufwertung von Frauen und Frauenleben. All das führte dazu, dass die Beteiligung von Frauen geradezu zum Kennzeichen der reformatorischen Kirche wurde.

Trotzdem wurde auch die evangelische Kirche lange nur von Männern geleitet.

Käßmann: Ja, die Konsequenzen aus dieser reformatorischen Theologie wurden erst ab Mitte des 20. Jahrhunderts wirklich gezogen. Heute wissen wir: Die Beteiligung der Frauen ist kein Seitenthema der Reformation, sondern sie steht zentral für ihre Inhalte.

Waren die Reformatoren also doch Machos, die die Macht eigentlich für sich behalten wollten?

Käßmann: In den Religionen herrschen oft patriarchale Zustände. Auch die Reformatoren blieben ihrem Zeitgeist verhaftet. An Rollenfestlegungen haben sie nicht gerüttelt.

Von Luther stammt manch abfälliger Satz über Frauen. Einmal meinte er: "Es ist kein Rock, der einer Frau oder Jungfrau so übel ansteht, als wenn sie klug sein will." Auch er ließ sich hinreißen vom Hexenwahn und der Hexenverfolgung seiner Zeit. Das lässt sich nicht kleinreden.

Aber Luther sagte auch: "Wenn das weibliche Geschlecht anfängt, die christliche Lehre aufzunehmen, dann ist es viel eifriger in Glaubensdingen als Männer." Die Reformatoren haben insgesamt an einer Unterordnung der Frau unter den Mann festgehalten. Trotzdem ist es bemerkenswert, dass Luther Kritik daran übte, dass viele Alltagspflichten allein den Frauen überlassen werden.

Luther heiratete die ehemalige Nonne Katharina von Bora und traute ihr einiges zu. Lange galt diese Ehe als vorbildlich. Ist sie das noch heute?

Käßmann: Das denke ich schon. Katharina von Bora hat Luthers Theologie unterstützt und er hat wertgeschätzt, dass sie das kleine Familienunternehmen geführt hat. Ich sehe ihre große gegenseitige Wertschätzung und auch das gemeinsame Projekt, sechs Kinder großzuziehen. Ob ein Mann sich lächerlich macht, wenn er Windeln wäscht, fragte Luther einmal. Und er war sicher: Nein, weil es nicht um das Werk geht, sondern darum, dass wir das, was wir tun, im Glauben tun. Darüber hinaus war die Eheschließung von ehemaligen Mönchen und Nonnen eine theologische Zeichenhandlung: Das Leben in der Welt ist das reale Leben vor Gott und nicht das zurückgezogene Leben im Kloster.

Für manche Frauen war das Kloster aber auch der einzige Ausweg, wenn die Ehe für sie nicht das richtige Lebensmodell war.

Käßmann: Ja. Elisabeth von Calenberg zum Beispiel erkannte das. Sie war als eine der Fürstinnen der Reformation nicht nur besonders klug und hat viel geschrieben, sie hat auch die Klöster in Niedersachsen und die Stifte in Lüneburg erhalten, weil sie gesagt hat: Frauen, für die die Ehe nicht der Weg ist, brauchen einen Ort, wo sie abgesichert leben, sich bilden und sozial tätig sein können.

Martin Luther und Philipp Melanchthon, Johannes Calvin und Ulrich Zwingli – wenn es um die Reformation geht, hört man meist nur von Männern…

Käßmann: Es ist bedauerlich, dass die Zeugnisse der Frauen der Reformation so wenig erhalten sind und die erhaltenen so wenig wahrgenommen werden. Das gilt für die Fürstinnen wie für die Pfarrfrauen, für diejenigen, die geschrieben haben, wie für diejenigen, die ihre Kinder im evangelischen Glauben erzogen.

Welche Rolle spielten diese Frauen denn damals in der Kirche?

Käßmann: Da waren zum einen die Pfarrfrauen. Für sie war die Heirat mit einem Pfarrer, oft mit einem ehemaligen Mönch, kein leichter Schritt. Sie wurden von den Altgläubigen verachtet. Es hieß, Kinder, die von ehemaligen Mönchen und Nonnen gezeugt werden, kommen mit Fehlbildungen zur Welt. Die Frauen mussten inhaltlich hinter ihren Männern stehen, um den Anfeindungen ihrer Umwelt gegenüber Haltung zu bewahren.

Das gilt nicht nur für Katharina von Bora. Auch Anna Zwingli, Idelette Calvin, Wibrandis Rosenblatt, Elisabeth Bucer und viele andere zählen zu diesen mutigen Frauen. Es gab zudem Frauen, die eigene Schriften hinterließen.

Herausragend unter ihnen ist Argula von Grumbach. Sie widersprach öffentlich dem Rektor der Ingolstädter Universität, als dieser reformatorisches Gedankengut verbieten wollte. Auch Elisabeth von Rochlitz bekannte sich in vielen Briefen klar zum reformatorischen Glauben. Im Schmalkaldischen Bund spielte sie eine entscheidende Rolle.

Katharina Zell verteidigte ihre Ehe in einem Brief an den Bischof und in einem Flugblatt. Außerdem gab sie ein kleines Liederbuch heraus. Elisabeth Cruciger dichtete Kirchenlieder. Nicht zuletzt sind Fürstinnen wie Elisabeth von Calenberg zu nennen, die die Reformation entscheidend, auch politisch unterstützten. Das alles kann nur anreißen, wie viele Frauen die Reformation geprägt haben. Nur wenige sind namentlich bekannt und von ganz wenigen sind schriftliche Zeugnisse überliefert. Unübersehbar aber ist ihre Bedeutung für die Reformation als Personen und als inhaltliches, theologisches Signal.

Dieses Interview ist ein Auszug aus dem THEMA-Magazin: "Die Frauen der Reformation".

In dem Sonderheft werden "Reformatorinnen" anschaulich porträtiert und in den Mittelpunkt gestellt: Katharina von Bora, Argula von Grumbach, Barbara Cranach, Elisabeth Cruciger, Elisabeth von Braunschweig-Lüneburg, Olympia Fulvia Morata und Katharina Melanchthon. Dem THEMA-Magazin gelingt nicht nur die Darstellung der "weiblichen Seite" der Reformation und wie sich dadurch das Frauenbild verändert hat, sondern auch der Brückenschlag in die heutige Zeit. Das THEMA-Magazin ist bebildert, leicht lesbar und journalistisch hintergründig aufbereitet.