"Nachts schlafen hier vor allem Menschen aus der Volksgruppe der Roma, tagsüber treffen sich Drogenabhängige", zählt Pfarrer Gottfried von Segnitz auf. Weil weder Gesprächsangebote, Ermahnungen noch Vertreiben helfen, hat sich die Gemeinde jetzt entschlossen, die Eingänge über Nacht mit Gittern abzuriegeln – sobald der Denkmalschutz zustimmt.

Leicht gefallen ist der Gemeinde von St. Matthäus der Entschluss nicht. "Aber wir sind mit unserem Latein am Ende", sagt Corinna Gilio. Denn die Obdachlosenszene habe sich grundsätzlich gewandelt. Früher habe der Mesner "seine" Übernachtungsgäste mit Namen gekannt. "Die hat er morgens geweckt, ihnen einen Besen zum Saubermachen hingestellt, und danach haben sie einen Kaffee bekommen", erzählt die Vertrauensfrau von St. Matthäus. Die Obdachlosen wiederum hätten sich "ihrer" Kirche verpflichtet gefühlt und auf das Gotteshaus achtgegeben. Seit 2008 habe sich die Szene verändert. "Damals wurde das Baugerüst bei der Außensanierung von den Roma als Übernachtungsplatz und Versteck für Diebesgut entdeckt", berichtet von Segnitz.

Gottesdienstbesucher von St. Matthäus beschweren sich

Heute gebe es einen starken Wechsel bei den Obdachlosen; hinzu kämen Sprachprobleme, kriminelle Strukturen – z. B. ein System der Schlafplatzvermietung – und ein grundsätzliches Desinteresse für den sakralen Raum "Kirche". "Wenn wir abends Konzerte haben, kommen die Besucher manchmal gar nicht zur Tür herein, weil da schon 20 Leute liegen, die auch nicht zur Seite gehen", schüttelt Corinna Gilio den Kopf. Immer wieder beschwerten sich Konzert- und Gottesdienstbesucher über die Zustände: Weil sie sich von der Szene in den Kircheneingängen verunsichert fühlen, aber auch, weil es rund um die Matthäuskirche im Sommer einfach stinkt.

Hinweisschild am Kircheneingang.
Hinweisschild am Kircheneingang: "Hier ist kein Schlaf- und Lagerplatz!"

Ehrenamtliche putzen Eingänge

Das Ausmaß des Geruchsproblems schildert Gottfried von Segnitz: "Die Räume im Keller können wir schon seit Jahren nicht mehr lüften, weil die Kellerschächte mit Fäkalien und Unrat voll sind." Vor dem Sonntagsgottesdienst rücken Corinna Gilio oder andere Ehrenamtliche mit Schrubber und scharfen Putzmitteln an, um die Überreste der Nacht aus den Eingängen zu beseitigen. Ein stabiler Magen ist Voraussetzung: "Da finden Sie von Eierschalen, Lagerfeuerresten, Fäkalien, nach Urin stinkenden Kartons bis zu Männerunterhosen alles", zählt die Vertrauensfrau auf. Bei allem Mitleid für die Situation der Menschen packe sie auch immer wieder die Wut über all den Dreck und auch die Aggressivität, die ihr teilweise entgegenschlage. "Ich stehe mit Herzblut für diese stattliche Kirche, ich möchte, dass ihr Würde entgegengebracht wird", sagt Gilio.

So massiv wie an der Matthäuskirche sind die Probleme andernorts nicht. Auch am Alten Peter am Marienplatz beispielsweise gibt es Bettler oder Wildbiesler. "Aber in den Eingängen campiert wird bei uns nicht, dazu ist hier viel zu viel los", sagt ein Mitarbeiter im Pfarramt. Außerdem sorgten tagsüber zwei Kirchenaufseher und zwei Mesner für Ordnung. Er kenne die Situation von St. Matthäus, so der Mitarbeiter – "dort ist es der Wahnsinn".  
 

Bierflaschen in Fensternischen.
Bierflaschen in Fensternischen sind noch das geringste Müll-Problem der Matthäuskirche.

Ordnungsdienst ist nicht bezahlbar

Um das Problem in den Griff zu bekommen, hat der Kirchenvorstand von St. Matthäus schon viele Ideen diskutiert. Doch offensive Hilfsangebote und der Versuch, miteinander auszukommen, scheiterten am Desinteresse der Menschen; juristisch korrekte Hausverbote seien wegen des Bürokratieaufwands kaum durchzusetzen und überdies sinnlos; Flutlichtanlagen als Vergrämungstaktik blieben wirkungslos. "Die Stadt hat uns empfohlen, einen Ordnungsdienst einzusetzen – aber wovon sollen wir den bezahlen?", fragt Pfarrer von Segnitz.

Denn das ist das nächste Problem: Die Matthäuskirche ist zwar ein stolzer, denkmalgeschützter Bau und genießt als Predigtstätte des Landesbischofs überregionale Bedeutung. Doch mit dem Gemeindehaushalt lassen sich nicht mal kleine Sprünge machen, das meiste fressen die Personal- und Energiekosten für die Kathedrale. Den Großteil ihres Vermögens musste die Gemeinde für die Kirchensanierung 2008 ausgeben. Immobilien, mit denen sich regelmäßige Einnahmen verdienen lassen, besitzt sie nicht.

Sparmaßnahmen verschärfen das Problem

Also spart die Gemeinde, wo sie kann: Die Mesnerstelle hat sie auf 30 Stunden gekürzt, die Reinigungskräfte auf 25 Stunden. "Aber die Matthäuskirche ist von der Kategorie her ein Grand Hotel – da kann ich doch nicht an der Reinigung sparen", ärgert sich Corinna Gilio, die einen Cateringservice und einen Weinhandel betreibt. Sie fühlt sich von der Landeskirche mit ihren strikten Schlüsselzuweisungen im Stich gelassen. "Im Landeskirchenamt putzen doch auch keine Ehrenamtlichen!"

Auch Pfarrer von Segnitz ist besorgt: "Wir haben unser Haus nicht mehr im Griff." Trotz aller Sparmaßnahmen mache die Matthäuskirche jedes Jahr Defizit. Vieles sei über ehrenamtliches Engagement aufgefangen worden. "Aber das verlässliche Grundmanagement, zum Beispiel beim abendlichen Abschließen, das fehlt." Gerne würde er einen christlicheren Umgang mit denen pflegen, die Nacht für Nacht seine Kirche besudeln und selbst so wenig Interesse an Kooperation zeigen. "Aber schaffen wir das kräftemäßig? Und vor allem: Was soll man diesen Menschen anbieten?", fragt er ratlos.

Also werden wohl die Gitter vor die Kircheneingänge kommen, für rund 40.000 Euro übrigens. "Bis dahin putzen wir weiter – mit Ekel, Wut und Scham", sagt Corinna Gilio.