Wie ist die Zusammenarbeit von Polizei und Krisendienst in Bayern geregelt?

Welschehold: Unsere Zusammenarbeit regelt das bayerische Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz. Es wurde 2018 und 2019 in zwei Stufen verabschiedet. Dieses Gesetz hat die davor fast drei Jahrzehnte bestehende rechtlich unbefriedigende Situation der Unterbringungen von psychisch kranken Menschen in einer psychiatrischen Klinik reformiert. Unterbringungen wurden früher ausschließlich unter dem Gesichtspunkt von Selbst- und Fremdgefährdungen angeordnet. Wir sind alle sehr froh, dass es jetzt gerade in Bayern geglückt ist, diese für die betroffenen Menschen sehr ungute Situation aufzulösen und es erstmals in Deutschland möglich ist, ein gesetzlich verankertes Hilfeangebot bereitzustellen.

"Die Polizei soll die Krisendienste in “geeigneter Art und Weise” hinzuziehen."

 Was schreibt das Gesetz konkret vor?

Die Polizei soll die Krisendienste in “geeigneter Art und Weise” hinzuziehen, also dann, wenn die Unterbringung eventuell durch die fachliche Beratung eines Krisendienstes vermieden werden kann. Dies ist die Rechtsgrundlage, auf der die Krisendienste in ganz Bayern mit der Polizei kooperieren.

Michael Welschehold
Michael Welschehold ist Facharzt für Psychiatrie und Geschäftsführung des Krisendienst Psychiatrie Oberbayern.

Wie klappt die Umsetzung aus Ihrer Sicht bisher?

In Oberbayern haben wir schon vor der Verabschiedung des Gesetzes intensive Gespräche mit der Polizei geführt, wie wir unsere Zusammenarbeit gestalten können, damit das im Einzelfall auch funktioniert. Dies wurde nach dem Inkrafttreten des Gesetzes durch eine Kooperationsvereinbarung bekräftigt. Denn nur durch das bloße Vorliegen eines Gesetzes ändert sich an den Abläufen im Alltag zunächst ja nichts.

"Im Idealfall ziehen die Einsatzkräfte den Krisendienst hinzu."

Wie ändert es sich dann?

Wir sind regelmäßig mit der Polizei im Austausch, wir haben viele Informationsveranstaltungen und Schulungen auf unterschiedlichen Ebenen bei der Polizei durchgeführt. Wir klären damit über psychische Erkrankungen und den Umgang mit den betroffenen Menschen auf. Dieses Wissen ist aus unserer Sicht die Basis, damit die Zusammenarbeit im Alltag funktioniert. Uns ist wichtig, dass bei der Polizei möglichst bis in jede einzelne Polizeiinspektion die dort mitwirkenden Polizistinnen und Polizisten auf Streife für den Umgang mit psychisch kranken Menschen geschult sind. Jede Polizistin und jeder Polizist kann bei jedem Einsatz mit einer Situation konfrontiert sein, bei der das Wissen zum Umgang mit den betroffenen Menschen wichtig ist – und eben auch an die Einbeziehung des Krisendienstes gedacht wird. Im Idealfall ziehen die Einsatzkräfte den Krisendienst hinzu. Das funktioniert bisher sehr gut.

"Damit sich eine gute, zum Nutzen der betroffenen Menschen funktionierende Zusammenarbeit entwickeln kann, braucht es die Verständigung über die unterschiedlichen Logiken und Handlungsmöglichkeiten."

Also ging es auch darum, gegenseitiges Vertrauen aufzubauen?

Genau. Es gab eben bis dahin keine geregelte Zusammenarbeit. Lokal hatten sich zwar hier und da Regelungen etabliert. Das war gelebte Praxis, aber nicht offiziell geregelt. Damit sich eine gute, zum Nutzen der betroffenen Menschen funktionierende Zusammenarbeit entwickeln kann, braucht es die Verständigung über die unterschiedlichen Logiken und Handlungsmöglichkeiten. Und es braucht verständliche, umsetzbare Spielregeln.

Sie sehen also eine große Bereitschaft, das Gesetz in gelebte Praxis umzusetzen?

Ja. Wir alle sehen uns in Bayern in der Pflicht, diesem gesetzlichen Anspruch bestmöglich nachzukommen. Zum Beispiel dadurch, dass wir für die Polizei  telefonisch möglichst direkt und unkompliziert erreichbar sind – egal, ob das eine Polizeistreife ist, die uns bittet, sie zu kontaktieren, oder eine Einsatzzentrale, bei der schon eine Meldung angekommen ist und die dann sagt: Bevor wir hier weitermachen und die Streife rausschicken, involvieren wir jetzt den Krisendienst.

"Die Wahrung des Rechts jedes Menschen auf persönliche Freiheit und dessen Recht auf Selbstbestimmung sollten uns Verpflichtung sein, alles zu tun, um Zwangsmaßnahmen zu vermeiden."

Ziel des Gesetzes ist ausdrücklich, Menschen vor nicht notwendigen Unterbringungen gegen ihren Willen zu schützen, richtig?

So ist es. Es ist immer eine Abwägung zwischen der Schutzwürdigkeit gefährdeter Rechtsgüter und der Schwere eines Eingriffs in die persönliche Freiheit. Wenn ein Mensch in einer psychischen Notlage aufgegriffen wird und dann keine weitere Möglichkeit hat, vor einer Unterbringung gegen seinen Willen in einer psychiatrischen Klinik erst einmal geeignete Hilfen zu bekommen, und sich dort auf einer geschlossenen Station wiederfindet – dann ist das schon eine heftige, oft zusätzlich traumatisierende Erfahrung. Eine solche Situation möchte man selbst nicht erleben, und eigentlich auch keinem anderen Menschen zumuten müssen. Solange es irgendeine Option gibt, diese extreme Erfahrung zu vermeiden, muss immer versucht werden, erst alle Hilfemöglichkeiten auszuschöpfen und eine Deeskalation der Situation zu erreichen. Die Wahrung des Rechts jedes Menschen auf persönliche Freiheit und dessen Recht auf Selbstbestimmung sollten uns Verpflichtung sein, alles zu tun, um Zwangsmaßnahmen zu vermeiden.

Hilfe bei psychischen Krisen

Die Krisendienste Bayern sind ein psychosoziales Beratungs- und Hilfeangebot für die Bürger*innen Bayerns. Unter der kostenlosen Rufnummer 0800 / 655 3000 erhalten Menschen in seelischen Krisen, Mitbetroffene und Angehörige qualifizierte Beratung und Unterstützung – rund um die Uhr, sieben Tage die Woche.