Seit Tagen werden britische Städte von Gewalt erschüttert. Offen rechtsextreme weiße Engländer machen Jagd auf alles, was sie hassen. Besonders im Visier: Muslimisch gelesene Menschen. Die Randalierer griffen mehrere Moscheen an und setzten mindestens zwei Hotels in Brand, in denen Menschen untergebracht waren, die Asyl suchen. 

Diese Ausschreitungen müssen klar als das benannt werden, was sie sind: rassistisch und antimuslimisch. Auslöser der Unruhen, die manche zu Recht als Pogrome bezeichnen, war eine Falschmeldung: In der englischen Stadt Southport hat ein Jugendlicher aus bislang ungeklärten Gründen eine Tanzveranstaltung junger Mädchen angegriffen und drei von ihnen tödlich verletzt.

Fake News führen zu Gewalt

Angeheizt von einschlägig bekannten Hetzern wie dem wegen Vergewaltigung und Menschenhandel angeklagten Influencer Andrew Tate, verbreitete sich in den sozialen Medien schnell das Gerücht, der Täter sei ein junger Muslim, der angeblich in einem Flüchtlingsboot über den Ärmelkanal gekommen sei. Klassische Fake News: Er wurde in Wales geboren und hat keinen muslimischen Hintergrund. 

Dass solche Fakten den tobenden Mob nicht interessieren, ist wenig überraschend. Auch dass Rechtsradikale die Gewalt als "Widerstand" gegen "illegale Migration" verklären, ist zwar schockierend, aber nichts Neues. Wirklich erschreckend ist jedoch, wenn auch hier in Deutschland Menschen eine Art Verständnis für die Gewalt zeigen und beispielsweise eine angeblich verfehlte Migrationspolitik dafür verantwortlich machen wollen, wie etwa der Psychologe Ahmad Mansour in einem mittlerweile gelöschten Tweet.

Dabei ignorieren sie, ähnlich wie seinerzeit die Brexit-Befürworter*innen, die realen Verhältnisse: Das Vereinigte Königreich wurde in den vergangenen Jahrzehnten durch eine rigide und rücksichtslose Austeritätspolitik praktisch kaputt gespart. Das Ergebnis: die öffentliche Infrastruktur - Nahverkehr, Gesundheitssystem, Kinderbetreuung - ist marode oder nur noch für wenige bezahlbar. Und Politiker*innen, egal ob konservativ oder sozialdemokratisch, versuchen gerne, Migrant*innen dafür die Schuld zu geben

Sündenbock-Funktion für Migrant*innen

Spätestens jetzt sollten auch bei uns in Deutschland die Alarmglocken läuten. Gerade hat die Europameisterschaft gezeigt, dass der öffentliche Personennahverkehr hierzulande nicht mehr belastbar ist. Auch bei uns werden wichtige Investitionen in die öffentliche Infrastruktur, in das Gesundheitswesen, in die Kultur, in soziale Projekte mit dem Hinweis auf die heilige Schuldenbremse verweigert.

Damit schaffen wir gerade die Grundlage für ähnliche Gewaltausbrüche wie in England. Denn dass Migrant*innen, insbesondere muslimische, als Sündenböcke herhalten müssen, ist auch bei uns längst Standard – auch abseits von "Bild" und Konsorten. So möchte etwa die "Zeit"-Korrespondentin Bettina Schulz ihre Leser*innen tatsächlich glauben machen, die pro-palästinensischen Demonstrationen in England trügen eine Mitschuld an den Krawallen

Die Ereignisse in England sollten uns daher eine eindringliche Warnung sein. Es muss endlich mehr Geld in die öffentliche und soziale Infrastruktur fließen. Denn einem immer größer werdenden Teil der Gesellschaft wird das Leben immer schwerer und teurer gemacht. Die Wut darüber entlädt sich mit Vorliebe an Minderheiten und als fremd markierten Menschen. Chaos und Gewalt sind die Folge – etwas, das es unter allen Umständen zu verhindern gilt.

Kommentare

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Ingrid Müller am So, 11.08.2024 - 21:22 Link

Aber die Frage warum die Mädchen ermordet wurden ist noch nicht beantwortet.
Das wäre doch hilfreich .
Was sagt der Täter.
Keine religiöse Tat.
Was war der Grund?

Florian Meier am Mo, 12.08.2024 - 20:56 Link

Der Grund ist nicht bekannt. Es wird berichtet (BBC), dass der mutmaßliche Täter zuletzt isoliert lebte und eine autistische Störung habe. Das erklärt aber so eine Tat nicht wirklich. Das Ganze erinnert etwas an die Amokmorde von Volkhoven.

Florian Meier am Di, 06.08.2024 - 21:13 Link

Dieser Kommentar greift in vielerlei Hinsicht zu kurz. Rassistische Gewaltausbrüche drohen sicher nicht, weil der Zug nicht fährt oder Verspätung hat. Ärgerlich ist außerdem die Verwendung von schlechtem Deutsch: "Muslimisch gelesene Menschen". Was soll das sein? Es sind Menschen, die - warum auch immer - für Muslime gehalten werden. Selbst die dumpfen rassistischen Gewalttäter dürften kaum nach einem Schild "ich bin Muslim" suchen. Warum ich diese Petitesse erwähne? Der journalistische Neusprech ist ein erheblicher Teil des Problems, da er Zweifel in die Wahrhaftigkeit der Berichterstattung hervorbringt und der Rechtsruck in Europa von solchen Zweifeln, die in Verschwörungserzählungen münden genährt wird. Gerade als Protestanten sollten wir dem Volk aufs Maul schauen und nicht bei den Kollegen abpinseln, die mit zweifelhaften Wortgirlanden Deutungshoheit erlangen möchten.

Florian Meier am Di, 13.08.2024 - 20:20 Link

Der Mann is Ökonom kein Historiker oder Faschismusexperte. Nebenbei ist Neoliberalismus ein sehr unscharf definierter Begriff, der ziemlich viel bedeuen kann und der Zusammenhang von Rassismus und Liberalismus eher an den Haaren herbeigezogen. Ich halte das für eine fragwürdige Schlußfolgerung. Gerade in UK hat in den letzten Jahren eher der Konservatismus und Protektionismus die Fremdenfeindlichkeit gesteigert. Die klarste Gegner vom Brexit waren die Liberals für die auch das EU-Supergirl Madeleina Kay auftrat. Auch im 20. Jh. ist der Faschismus eher ein aus reaktionären und antikommunistischen Kräften hervorgehendes Phänomen. Liberale Freigeister waren immer der erklärte Gegner.