Grenzschließungen führen laut dem niederländischen Migrationsexperten Hein de Haas nicht zu einer Reduzierung von Migration. "Die Schließung der Grenzen führt zu unerwarteten Effekten und kann völlig kontraproduktiv sein", sagte der Leiter des International Migration Institute in Oxford dem Evangelischen Pressedienst (epd).
Beschränkung friert Migration ein
Wenn man die Grenzen schließe, bedeute das oft, dass die Migration "in den Untergrund" gehe.
"Je schwieriger man die Einreise macht, desto mehr Migranten neigen dazu, zu bleiben."
Freie Migrationsbewegungen seien stark zirkulär und fließend. "Beschränkungen frieren die Migration oft ein und drängen Migranten in dauerhafte Niederlassungen", sagte der Autor des Buchs "Migration - 22 populäre Mythen und was hinter ihnen steckt".
Für Migranten, die sich undokumentiert in einem Land aufhielten, bestehe noch weniger Anreiz, in ihre Herkunftsländer zurückzukehren. Dies sei zum Beispiel bei den sogenannten Gastarbeitern, die aus der Türkei und anderen Ländern nach Deutschland kamen, geschehen. In den 1970er und 1980er Jahren, als die Einreise erschwert wurde, seien die Menschen nicht zurückgekehrt, sondern geblieben und hätten ihre Familien nachgeholt.
Größtes Missverständnis: Kontrolle der Migration
Das größte Missverständnis in Bezug auf die Migration sei, dass man sie kontrollieren könne "wie einen Wasserhahn, den man auf- und zudreht".
Migration werde weitgehend von sozialen und wirtschaftlichen Prozessen bestimmt. Es sei daher von entscheidender Bedeutung, die Auswirkungen von Beschränkungen sowohl auf die Zuwanderung als auch auf die Rückwanderung zu verstehen, erläuterte de Haas.
So sollte beispielsweise der Brexit die Migration stoppen, aber habe viele Osteuropäer erst dazu gebracht, sich dauerhaft in Großbritannien niederzulassen, weil diese Angst gehabt hätten, zurückzugehen und dann nicht wieder einreisen zu dürfen.
Legale Migrationswege schaffen
De Haas plädiert nicht für pauschale Grenzöffnungen, sondern dafür, mehr legale Migrationswege zu schaffen. Gegenwärtig werde in Ländern wie Deutschland oder Frankreich massiv geleugnet, dass viele gering qualifizierte Arbeitsmigranten aus europäischen und außereuropäischen Ländern alle möglichen Arbeiten verrichten, die Einheimische nicht machen wollen.
"Man kann in einem wohlhabenden Land mit einer alternden Bevölkerung keinen liberalen, offenen Arbeitsmarkt haben und gleichzeitig viel weniger Zuwanderung wollen."
In seinem Buch nennt de Haas dies das Migrationstrilemma. Man könne nicht drei Dinge gleichzeitig haben:
- eine erfolgreiche Wirtschaft, die eine große Nachfrage nach Arbeitskräften (sowohl hoch als auch niedrig qualifizierte) schafft
- eine offene Demokratie
- und eine reduzierte Zuwanderung.
Für die hysterische Diskussion um Migration nennt de Haas mehrere Gründe:
"Erstens wird Migration oft als Sündenbock für verschiedene Probleme benutzt. Zweitens ist das Schüren von Angst eine klassische Taktik von Politikern."
Wenn die Menschen Angst vor einem äußeren Feind hätten, neigten sie dazu, sich hinter einen starken Politiker zu stellen, der verspreche, das Land zu retten und die Probleme zu lösen.
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Hm, ich kann dem Herren…
Hm, ich kann dem Herren nicht ganz folgen: Inwieweit waren Türkische Gastarbeiter nicht registriert? Sie wurden doch explizit angeworben und Betrieben zugeteilt. Inwieweit ist eine bewußte dauerhafte Ansiedlung nachteilig? Ängste und Abwehr lösen ja vielmehr diejenigen aus, die nicht den Eindruck erwecken am Fortschritt des Landes mitwirken zu wollen sondern dieses vielmehr innerlich ablehnen und Gedanklich das Paradies woanders verortet glauben. Im Übrigen hat der Brexit selbstverständlich zur Reduktion der Einwanderung aus der EU geführt. Wer lange dort lebte hat sich um einen permanenten Aufenthalt bemüht, aber viele EU-Bürger sind auch wieder ausgewandert. Ob das gut für das Land ist, ist eine andere Frage. Die Kernthesen halte ich so pauschal auch für falsch. Es kommt doch sehr auf die Demographie an: Herrscht ein Überschuß an Geburten, so wird der Arbeitsmarkt selbst bei Nettoauswanderung bedient. Indien hat Nettoabwanderung, Wirtschaftswachstum und ist demokratisch. Außerdem können Produktivitäts- und Automatisierungsschübe zu Wachstum bei sinkendem Arbeitskräftebedarf führen. In diesem Fall führt die Abwanderung nicht mehr benötigter Arbeitskräfte sogar zur Effizienzsteigerung und einem sich stärker entwickelndem Sozialstaat, weil die verbliebenen Arbeitskräfte wertvoller werden. Ein weiterer wichtiger Faktor ist die Fähigkeit zur Fort- und Weiterbildung auf beiden Seiten. Eine wachsende Bevölkerung führt zwar auch zu mehr Bedarf an "einfacheren" Tätigkeiten: Friseure, Verkäufer, Bauarbeiter, Busfahrer usw., aber mindert auch den Druck zu Effizienz und Innovation. Der Aufstieg Deutschlands von einem agrarischen zu einem modernen Industriestaat im 19. Jh. bis frühes 20. Jh.. ist mit millionenfacher Abwanderung nach USA und Osteuropa verbunden, während nach anfänglicher Restauration und Demagogenverfolgung ab Mitte des Jh. ein vordemokratisches Tauwetter einsetzte, was nach Versagen der Elite im Krieg in die erste Republik mündete. Nun leben wir heute sicher in anderen kaum vergleichbaren Zeiten, aber von allzu simplen Vereinfachungen sollte man sich hüten.
Man kann es sogar noch…
Man kann es sogar noch weiter spinnen: Die Zwischenkriegszeit führte zu Masseneinwanderung aus Osteuropa in Folge der Oktoberrevolution. Weder ging es da der Wirtschaft gut noch blühte die Demokratie richtig auf. Das historisch desaströse Ergebnis ist bekannt. Nun ist diese Erzählung natürlich auch eine grobe Vereinfachung, die Kriegslasten und autoritäre Traditionen außen vorlässt und ganz so erfolglos war die Wirtschaft in jener Zeit auch nicht durchgängig. Eine Erzählung deren Gegenteil man aber genauso belegen kann taugt trotzdem nicht viel.