Welche fatalen Folgen die mittlerweile kaum anders als hysterisch zu nennende Diskussion um Migration in Europa hat, zeigt eine rund einjährige gemeinsame Recherche des Bayerischen Rundfunks mit der Recherche-Organisation Lighthouse Reports, dem "Spiegel" und weiteren internationalen Medienpartnern.

Migrant*innen gezielt verschleppt und in der Wüste ausgesetzt

Die Sicherheitskräfte in EU-Partnerländern Tunesien, Marokko und Mauretanien verschleppen demnach gezielt Migrant*innen und setzen diese beispielsweise in der Wüste aus – ohne Wasser, also in akuter Lebensgefahr. Laut der Recherche handelt es sich dabei keineswegs um Einzelfälle. Vielmehr sei es ein bewusst angewandtes System, das das Ziel habe, potenzielle Migrant*innen abzuschrecken.

Die Zurückweisungen laufen demnach immer nach demselben Prinzip ab: Mutmaßliche Asylsuchende aus afrikanischen Ländern werden auf der Straße oder auf See abgefangen, in Haftlager gesteckt und später an entlegenen Orten zurückgelassen, etwa mitten in der Wüste. Einige der Ausgesetzten sind offenbar auch ausgeraubt oder gefoltert worden.

Die EU-Staaten und die Kommission wüssten nicht nur von den Aktionen, heißt es weiter, sondern rüsten die verantwortlichen Sicherheitskräfte auch aus. Unter anderem seien Pick-ups und Geländefahrzeuge geliefert worden.

Tunesien, Marokko und Mauretanien gelten der Europäischen Union als wichtige Partner bei der Verhinderung von Migration. Besonders Deutschland pflegt enge Beziehungen zu Tunesien und hat die dortigen Sicherheitsbehörden seit 2015 nicht nur mit Ausbildung durch deutsche Bundespolizist*innen, sondern auch mit Ausrüstung unterstützt. Insgesamt ließ sich die Bundesregierung ihre Unterstützung rund 31 Millionen Euro kosten. 

In Tunesien hat sich die Menschenrechtslage ohnehin massiv verschlechtert, seit Präsident Kais Saied 2021 den Notstand ausrief und weitgehend per Dekret regiert. Er verfolgt die Opposition und kritische Stimmen aus der Presse, der Justiz und von Menschenrechtsorganisationen. In einer Absichtserklärung für ein Abkommen mit der EU hat Tunesien sich gegen die Zahlung hunderter Millionen Euro verpflichtet, die Migration über das Mittelmeer einzudämmen.

Bundesregierung und EU wissen offenbar Bescheid

Zwar erklärt das Bundesinnenministerium, als es mit den Ergebnissen der Recherche konfrontiert wird, man habe derartige Vorgehensweisen der tunesischen Behörden, also das gezielte Verschleppen und Aussetzen von Migrant*innen, bereits im Sommer 2023 öffentlich verurteilt. Die Recherchen der Journalist*innen zeigen aber, dass sich seitdem nichts verändert hat. 

Dazu haben die Recherchen gezeigt, dass spanische Beamte Listen mit Namen von Migrant*innen ausgehändigt wurden, die an der Grenze zu Mali zurückgelassen wurden – einer Gegend, die von Terrormilizen kontrolliert wird. Sprich, sowohl die EU als auch die Bundesregierung wissen offenbar um die systematischen Menschenrechtsverletzungen, die mit ihrem Geld, ihrer Ausrüstung und von ihren Partnern begangen werden. 

Für ihre Recherche haben die Reporter*innen mit mehr als 50 Betroffenen gesprochen. Zudem wurden Satellitenbilder, Videos und vertrauliche Dokumente ausgewertet.

(Mit Material von epd)

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